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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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auf dem Rücken wie ein toter Käfer, ächzte vor Schmerzen bei jeder unbedachten Bewegung und konnte nicht einmal auf den Abort, ohne dass sein Diener ihn stützte!
    Aber Pahti kümmerte sich ohnehin aufs Beste um ihn, und zweimal am Tage kam zudem der Arzt, also wurde sie nicht gebraucht. Nachdem sie jetzt auch davon entschuldigt war, noch irgendwelche offiziellen Auftritte zu absolvieren, kümmerte sie sich gemeinsam mit der Wirtschafterin und der neuen Zofe um die letzten Vorbereitungen zur Abreise.
    Sie stellte mit Freuden fest, dass Fräulein Bertram – irgendwie hatte sie Hemmungen, eine so ernste Person einfach »Pia« zu rufen – ein würdiges Gegenstück des lautlos effizienten Pahti war. Ruhig, zuverlässig und schweigsam war sie eine wichtige Stütze in diesen hektischen Tagen, obwohl man ihr anmerkte, dass sie mit dem Betrieb eines großbürgerlichen Hauses nicht vertraut war. Missionare lebten für gewöhnlich ein eher bescheidenes Leben.
    Dann brach der Morgen der Abreise an.
    Anna Lisa verabschiedete sich mit nassen Augen von der guten Elsa, die sich immer so ernsthaft bemüht hatte, ihr die Mutter zu ersetzen. Sie küsste die Greisin auf die Wange und dankte ihr mit bewegten Worten.
    Elsa hielt ihre Hand noch einen Augenblick fest, nachdem sie gute Reise gewünscht hatte. »Liebes Fräulein«, sagte sie, wobei sie sich hastig nach allen Seiten umsah, ob sie niemand belauschte, »da ist noch ein Rat, den ich Ihnen mitgeben will. Sie dürfen mir dafür nicht böse sein, es ist ja nur gut gemeint.«
    »Was für ein Rat?«, fragte Anna Lisa, die irgendeine alltägliche Belehrung aus dem reichen Zitatenschatz des Kindermädchens erwartete.
    »Da Sie jetzt erwachsen und verheiratet sind und aus dem Hause gehen, will ich offen zu Ihnen sein. Sie sind immer sehr verwöhnt und behütet worden, und gewiss erwarten Sie nun, dass es in Ihrer Ehe auch so sein wird. Herr Simeon ist in der Tat ein guter Mann, doch, ja, das glaube ich, dass er ein guter Mann ist. Nur dürfen Sie sich nicht allzu sehr auf seine Stärke verlassen. Ich war nie verheiratet, aber ich habe viele Männer gesehen und mir ein Bild von ihnen gemacht, und ich sage Ihnen: Es kann eine Zeit kommen, in der Sie für ihn sorgen müssen, nicht umgekehrt.«
    Betroffen und auch ein wenig pikiert antwortete die junge Frau: »Aber sein Bein, das wird bald wieder in Ordnung kommen.«
    »Es ist nicht nur sein Bein.« Elsa umklammerte ihre Hände mit kalten, beinernen Fingern. »Alles an ihm ist krank. Sein Körper, sein Verstand, seine Seele. Das ist nicht seine Schuld, und Sie dürfen es ihm nicht anrechnen, aber stellen Sie sich je eher, desto besser darauf ein, dass er sich auf Ihren Arm stützen wird, nicht Sie auf den seinen. Und nun lassen Sie uns nicht länger reden; Gott segne Sie, mein liebes Kind, und lasse Sie glücklich werden – trotz allem.« Damit riss sie sich los und humpelte davon.
    Anna Lisa starrte ihr nach. Was waren das für finstere Prophezeiungen! Aber Elsa wurde allmählich sehr gebrechlich, sie nahm alles schwer, und wahrscheinlich betrachtete sie die missglückte Hochzeitsfeier als böses Omen. Die junge Frau schüttelte mit einer energischen Bewegung die Bedrückung ab, die sich ihrer bemächtigen wollte.
    Im Hof des Hauses herrschte lebhafte Geschäftigkeit. Simeon konnte noch immer nicht auf eigenen Beinen stehen, die Lobrecht’schen Diener würden ihn auf einer Bahre an Bord tragen müssen. Das Gepäck wurde verstaut, Elmer Lobrechts Kutsche fuhr im Hof vor. Hamburg, so schien es, wollte den Reisenden den Abschied leicht machen, indem es sich von seiner widerwärtigsten Seite zeigte. Winselnd und pfeifend rüttelte der Sturm an allem, was er zu fassen bekam – an Stangen, Holzwänden und Fuhrwerken. Hin und wieder gingen Schauer nieder, die wie Nadelstiche ihren Weg selbst durch die warmen Reisemäntel fanden.
    Als sie zum letzten Mal ihr Vaterhaus verließ, musste Anna Lisa die Augen zusammenkneifen. Sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die ihr beim Anblick des vertrauten Gebäudes mit seinem Park unter den Lidern hervorquollen. In ihren Ohren trommelte das Blut, ihr Herz schlug so heftig, dass sie ängstlich die Hand darauf presste, überzeugt, es würde jeden Augenblick aussetzen. Rasch trocknete sie sich die Wangen ab. Sie wollte nicht, dass ihr Vater sie weinen sah. Er gehörte zu den Menschen, die jede Gefühlsäußerung als ähnlich unangenehm empfanden wie das Kratzen der Kreide auf einer

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