Die Traenen des Mangrovenbaums
Anschlag auf den Gebieter seines Hauses verübt hatte. Und da war noch mehr, noch Schlimmeres.
»Ich habe mir die Stelle angeschaut, wo es passierte«, sagte er. »Der Bolzen kann nur aus einer Richtung abgeschossen worden sein. Aus dem Haus. Aus einem Fenster im Oberstock, genau gesagt. Ich habe es halb offen stehend gefunden.«
Der Mann im Bett schwieg, aber eine heiße Welle schoss durch seinen ganzen Körper, umklammerte sein Herz, trieb ihm das Blut in die Schläfen. Mit schmalen Augen starrte er den kleinen Mann an. »Du meinst, jemand aus meinem Haushalt hat diesen Unfall absichtlich herbeigeführt?«
Der Hauswart nickte. »Ich sage es nicht gerne, aber so ist es. Ich kenne auch die Waffe, mit der der Bolzen abgeschossen wurde. Eine kleine Armbrust, die sonst im Waffenzimmer an der Wand hängt. Sie ist verschwunden.« Mit einer langsamen, bedeutungsvollen Geste legte er das scharfe Eisenstück mit den daran haftenden Blutspuren auf den Nachttisch.
Der Europäer schwieg. Ihm war übel von der jähen Erregung, die ihn angesichts der Heimtücke des Anschlags erfasst hatte. Und doch war er nicht verwundert. Er wusste, wie viele Feinde er hatte. Es war damit zu rechnen gewesen, dass sich der eine oder andere in sein Haus einschlich, um ihn dort zu treffen, wo er am verletzlichsten war.
Mit heiserer Stimme fragte er: »Fehlt jemand von den Leuten?«
»Nicht von unseren eigenen Leuten, gnädiger Herr, aber der Handwerker, der in diesen Tagen das Dach repariert, ist nicht aufzufinden.« Er zog bedeutungsvoll die dichten schwarzen Augenbrauen hoch. »Sein Werkzeug ist noch da, aber sein Nachtlager ist leer, und er selbst ist fort. Soll ich die Männer ausschicken, ihn zu suchen?«
Der Verwundete wehrte mit müder Geste ab. »Nein, lass. Was nützt es schon, wenn wir ihn finden? Sie würden einfach einen anderen schicken.«
Irgendwann wird mich einer von ihnen erwischen, dachte er. Aber hol’s der Teufel, dass sie seiner armen Hepzibah Schmerzen zugefügt hatten!
Abschied von Deutschland
D ie Tage bis zur Abreise verliefen unerfreulich für das junge Ehepaar Vanderheyden. Das schöne Wetter des Hochzeitstages hatte sich als Strohfeuer erwiesen. Eine Schlechtwetterfront mit Nebel und Regen war von der Nordsee hereingezogen, und nun fiel ein dünner, prickelnder Nieselregen aus dem schieferfarbenen Himmel. Nebelbänke krochen von der Elbemündung herein, blähten sich in den Straßen und wurden von eisigen Windstößen hin und her geweht.
Im Hause Lobrecht herrschte das übliche Chaos, das ein so gewaltiges Fest in seinem Kielwasser zurückließ. Es gab alle Hände voll zu tun, aber alle waren müde, und viele, der Hausherr und der Schwiegervater mit eingeschlossen, hatten in der letzten Nacht viel zu viel getrunken. Ein verkaterter Bartimäus Vanderheyden schimpfte auf seinen Sohn, den er einen Tölpel und Tollpatsch nannte; er betrachtete es als persönliche Beleidigung, dass Simeons Auftritt ein so unwürdiges Ende genommen hatte, obwohl der Jüngling doch keinerlei Schuld daran trug, dass ein Handwerker den Schleier nicht ordentlich befestigt hatte. Beinahe wäre es zu einem Streit zwischen ihm und Lobrecht gekommen, da dieser die Partei des verunglückten Bräutigams ergriff.
Auf jeden Fall hinterließ der Unfall eine Lücke in der Organisation, denn eigentlich wäre es Simeons Aufgabe gewesen, alle nötigen Anordnungen zu erteilen. Als Ehemann verwaltete er nicht nur die Reisekasse, er genoss auch das Vorrecht, dass in erster Linie auf seine Wünsche Rücksicht genommen wurde und erst in zweiter Linie auf die seiner Gattin. In seinem erbärmlichen Zustand war ihm jedoch alles gleichgültig, er ließ sich obendrein zu der für Anna Lisa reichlich beleidigenden Äußerung hinreißen, seine geliebten Herbarien könne er ohnehin nicht mitnehmen, und alles andere sei ihm egal. Außer Tietjens! So viel Interesse brachte er noch auf, dass er Pahti extra in den Hafen schickte, ein paar Säcke des gedörrten Büffelfleischs zu kaufen, das ihr liebster Leckerbissen war!
Anna Lisa bemühte sich, das Beste aus der Situation zu machen. Sie stellte rasch fest, dass sie ihrem Gatten jetzt am besten aus dem Wege ging; er zeigte sich von einer recht unerfreulichen Seite, grollte vor sich hin und schnauzte sie an, wenn sie sich ihm näherte, und sie begriff, dass er das hauptsächlich deswegen tat, weil er sich vor ihr schämte. Anstatt stolz und vergnügt seine neue Stellung als reicher Ehemann zu genießen, lag er
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