Die Traenen des Mangrovenbaums
hätte er einen Schamanen, einen Suduk, um Rat fragen können. Im Notfall konnte er auch einen Mullah befragen, einige dieser islamischen Geistlichen verstanden sich recht gut auf Zauberei. Bis dahin musste er selbst seinen Herrn schützen, so gut er eben konnte. Ihm konnte der Leyak nichts anhaben, denn sein eigener Schutzgeist begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Wie alle javanischen Männer ab dem zwölften Lebensjahr trug er stets seinen Kris bei sich, den gewellten, scharfzüngigen malaiischen Dolch. Eine gefährliche Waffe, aber weit mehr als eine Waffe: Einem Kris, der nach allen Regeln der Kunst von einem Empu, einem zauberkundigen Waffenschmied, hergestellt worden war, wurde in geheimen Zeremonien eine Seele verliehen, ein magischer Zwilling der Seele des Mannes, für den er bestimmt war. Der Kris war der Schutzgeist des Mannes, der ihn trug, sein Stellvertreter und sein Begleiter. Deshalb ging kein Mann ohne seinen Dolch außer Haus, denn damit würde er einen Teil seiner Seele verlieren.
Der berühmteste dieser zauberkräftigen Dolche war jener des Prinzen Diponegoro, des großen Freiheitshelden. Die edle Waffe trug den Namen Kyai Omyang und war das Werk eines Empu aus der Zeit des vor zweihundert Jahren untergegangenen Reiches Majapahit. Solange ein Fürst der Javaner sie besaß, sollte sie die Kraft besitzen, die Insel vor Katastrophen zu schützen. Aber sie war ebenso in die Hände der Weißen gefallen wie der Held, dessen Hand sie geführt hatte.
Nein, Pahti wusste sich gut geschützt. Aber er ängstigte sich sehr um seinen Herrn.
Die Schiffsreise
A nna Lisa hatte gedacht, diese erste Schiffsreise ihres Lebens würde ein aufregendes Abenteuer werden, aber sie stellte schon sehr bald fest, dass sie sich entsetzlich langweilte. Es gab nichts zu sehen außer dem kalten, bleifarbenen Wasser, das an den Schiffsrumpf klatschte, und den Schleiern des immer wieder einsetzenden Regens. Es gab nichts zu tun, außer zu essen und Spaziergänge an Deck zu machen, wenn es einmal ein paar Stunden zu regnen aufhörte.
Alles wäre natürlich halb so schlimm gewesen, hätte sie interessante Gesellschaft gehabt, aber Dr. Lutter hatte seine Pflichten, und ihr Ehemann war nicht eben unterhaltsam. In seiner Frustration kehrte er die am wenigsten angenehmen Seiten seiner Persönlichkeit heraus. Er fauchte sie an, sobald sie sich ihm nur näherte; er kränkte und ärgerte sie mit voller Absicht, indem er mit Tietjens stundenlang spielte, während er seine Frau ignorierte. Am schlimmsten allerdings war es für die junge Ehefrau, wenn er sich seiner Melancholie überließ. Dann lag er mit dem Gesicht zur Wand da wie ein Toter, ohne auf irgendetwas zu reagieren. Es wäre ihr lieber gewesen, er hätte ihr das halb wütende, halb weinerliche »Lass mich in Ruhe!« zugerufen, das ihm sonst so leicht über die Lippen kam, als in dieser bleiernen Verzweiflung zu versinken.
Fräulein Bertram erwies sich als schwer zugänglich; sie war zwar eine vorbildliche Bedienstete, aber wenn sie nicht gebraucht wurde, zog sie sich auf der Stelle mit ihrer Bibel und einer Handarbeit in ihr Kämmerchen zurück. Gewiss, sie wäre gekommen, hätte Anna Lisa das von ihr verlangt – aber wer wollte schon einen zwangsweise zur Gesellschaft verpflichteten Menschen an seiner Seite?
Pahti nahm die üble Laune seines Herrn mit der Duldsamkeit seines Volkes hin. Anscheinend hatte er schon weit Schlimmeres erlebt, und wenigstens zeigte Simeon sich nicht gewalttätig; er wechselte nur zwischen Anfällen tiefer Melancholie und einer kindischen Reizbarkeit, die manchmal bis zu Tränen ging. Anna Lisa hatte den besten Willen, ihn zu trösten, aber gerade auf ihre Gesellschaft legte er am wenigsten Wert. Sie würgte an ihrer Wut, wenn er sie verdrießlich wegschickte und dann stundenlang im Bett lag und Tietjens, deren faltiger Riesenschädel auf seiner Brust ruhte, Zärtlichkeiten in die haarigen Schlappohren flüsterte.
Pahti bemerkte ihren Unmut, und da er stets um Harmonie bemüht war, versuchte er, sie mit einer ihm ganz vernünftig erscheinenden Erklärung zu trösten. »Der gnädige Herr liebt Sie, Mevrouw, ganz gewiss tut er das, aber man muss den Mächtigeren die höhere Ehre erweisen.«
»Mächtigeren?«, zischte sie, völlig aus der Fassung gebracht durch die gut gemeinten Worte des Dieners. »Das ist ein Hund! Ein Vieh! Ein Köter!«
»Mevrouw, ich flehe Sie an!« Pahti schlug vor Entsetzen die Hände zusammen und verneigte sich mehrmals
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