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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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stecken bleiben. Atemlos lauschte sie, als der Spiritisten-Pfarrer von der Zeit erzählte, als die seefahrenden Mächte, die Portugiesen und Spanier, die Welt unter sich aufteilten und entschieden, wer welche Länder überfallen und aussaugen durfte. Den Portugiesen war Java zugefallen, dessen Reichtum an Pfeffer, Muskat und Nelken ungeheure Gewinne einbrachte. Vor allem Pfeffer wurde in der ganzen Welt mit Gold aufgewogen, und unablässig zogen die portugiesischen Schiffe, vollbeladen mit den Früchten der Insel, in ihre Heimat. Die Pflanzer waren keineswegs fleißige Ackerbauern, die im Schweiße ihres Angesichts ungenutztes Land urbar machten, sondern Räuber und Plünderer. Freilich, die volle Härte einer Kolonialmacht hatte das Land tatsächlich erst zu spüren bekommen, als die Holländer – die selber eben erst das Joch der spanischen Habsburger abgeschüttelt hatten – ihre Schiffe in die Welt schickten. Zahllose Schiffe brachen zu den Gewürzinseln auf, Kapitäne und Kaufleute waren nur von dem einen Gedanken besessen, so viel wie möglich von diesen Schätzen in die Speicherhäuser in Amsterdam zu schaufeln. Holland geriet in einen Taumel der Habgier.
    Sie rissen alles an sich, was sie in die Hände bekamen. Die ursprünglichen Bewohner der Insel wurden nicht nur ausgeplündert, sondern auch misshandelt, ja, viele waren ermordet worden, ohne dass die Täter Strafe befürchten mussten. Selbst wenn eine solche Tat im hellen Tageslicht auf offenem Markt geschehen wäre, hätte niemand eine polizeiliche Untersuchung oder gar eine Gerichtsverhandlung vorgenommen. Angestiftet von der Überzeugung, dass die moralischen Gebote des Christentums nur Weißen gegenüber Gültigkeit hatten, behandelten sie die Einheimischen wie Tiere. Das Leben eines Kuli zählte nicht. Da konnten die Eingeborenen zetern und toben, so viel sie wollten, verfolgt wurde ein Mord nur, wenn er an Weißen begangen wurde, sei es durch Javaner oder andere Weiße.
    Dass Gott verschiedene Rassen geschaffen hatte, von denen die weiße die vornehmste – ja die allein wahrhaft menschliche – war, gehörte zur Grundüberzeugung der Kolonialherren. Noch der letzte Schuhputzer unter ihnen bildete sich ein, etwas Besseres zu sein als Einheimische und Asiaten. Kein Wunder, dass die Spannungen immer gefährlicher wurden und der Hass gegen die Weißen immer größer. Sporadisch kam es zu Aufständen, Erhebungen und Protesten, jeder für sich nicht weiter ernst zu nehmen, aber Warnzeichen für die Zukunft. Die Einheimischen waren von Natur aus ein lammfrommes Völkchen, ehrerbietig gegenüber der Obrigkeit, leicht lenkbar und friedlich, aber unendlich war ihre Geduld auch nicht, und wenn ihnen einmal so richtig der Kragen platzte, sagte Pfarrer Semmelbrod, würde Blut fließen – Ströme von Blut.
    Schon 1825 war es zu einem Aufstand gekommen. Die Holländer schlugen ihn blutig nieder. 200000 Javaner blieben auf den Schlachtfeldern; ihr Anführer, Prinz Diponegoro, fiel durch Verrat in die Hände der Feinde und starb schließlich, gebrochen von der furchtbaren Haft in den nassen Kasematten des Stadthuis, als noch junger Mann im Exil. Aber auch Holland hatte einen hohen Preis bezahlt. Das Land war von den Kriegskosten beinahe ruiniert. Und jetzt, wo es ums Geld ging, erinnerten die Holländer sich an die Gebote der Menschlichkeit. Der ärgste aller Blutsauger, die Vereinigte Ostindische Kompagnie, wurde aufgelöst, die Einheimischen erhielten zumindest einige ihrer Rechte und Besitztümer zurück. Man versuchte sich zu arrangieren.
    »Ich fürchte allerdings«, sagte Dr. Semmelbrod, »die Kolonialherren haben die Zeit verpasst, in der es noch möglich gewesen wäre einzulenken.«
    Nach dreihundert Jahren gnadenloser Ausbeutung waren selbst die geduldigen Javaner freundlichen Gesten gegenüber misstrauisch geworden. Sie glaubten nicht mehr daran, dass die Holländer es ernst meinten. Und selbst wenn sie es ernst meinten, war es ihnen inzwischen zu wenig, dass ihnen nur eine Handvoll von all dem Reichtum zugestanden wurde, den die Fremden in die Frachträume ihrer Schiffe schaufelten. Sie sagten sich mit Recht, dass sie das, wofür sie arbeiteten, auch selbst genießen wollten, anstatt die bleichen, hochmütigen Fremden damit zu mästen.
    »Die Javaner«, sagte der bärtige Greis, »sind ein sanftmütiges Volk, aber sie haben einfach zu viel ertragen müssen, und die islamischen Mullahs, die aus dem Ausland kommen, hetzen sie auf. Es brodelt unter

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