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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Mal wieder Appetit hat. Ein jähes, wildes Bedürfnis überfiel sie, ihn an sich zu drücken, in seinen Haaren zu wühlen und ihn zu küssen – aber eine doppelte Angst hielt sie zurück. Wenn sie ungeschickt mit ihm umging, würde er wieder Schmerzen bekommen, und außerdem erinnerte sie sich an einen weisen Spruch, den Elsa ihr ins Leben mitgegeben hatte: Wo die Nadel hingeht, da geht der Faden hin, nicht umgekehrt.
    Sie konnte es sich aber nicht verkneifen, mit einem kleinen Seufzer hervorzustoßen: »Oh, das ist schön, dich zu spüren!«
    Er hob auffordernd den Kopf, und sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Lippen. Es war ein viel angenehmerer Kuss als in der Kirche, denn diesmal hatte er keine Bartpomade aufgetragen und schmeckte süß und rein nach sich selber. Und sie musste an die Märchen denken, in denen ein Kuss einen verwunschenen Prinzen erlöste, so unvermutet schnell verwandelte sich der verdrießliche Geselle, der sie seit ihrer Hochzeit geplagt hatte, in einen freundlichen Mann. Sie brauchte sich jetzt gar keine Gedanken mehr zu machen, was sie tun sollte, so rasch geriet er in Erregung. Mit zuckenden Fingern versuchte er, ihr Kleid zu öffnen, und als ihm dieses komplizierte Unterfangen nicht gleich gelang, drückte er seine leidenschaftlichen Küsse auf den glänzenden Crêpe de Chine und wühlte die gierigen Hände in die Volants. Anna Lisa wagte nicht, ihn zu stören. Sie hätte ihm auch nicht wirklich behilflich sein können – Kleider an- und auszuziehen, selbst wenn es nur ein einfaches Hauskleid war, erforderte einiges an Mühe und Geschick und zumeist die Hilfe einer Zofe.
    Simeon war nahe daran, wieder in eine seiner bösen Launen zu verfallen, als die Tücke des Objekts ihn frustrierte, aber inzwischen hatte Anna Lisa sich in ihre Rolle gefunden. Sie stellte ein Bein auf den Bettrand, raffte kurzerhand den gesamten langen, schweren Rock mit seinen Rüschen und Falbeln hoch und warf ihn über das abgewinkelte Bein. Dr. Lutter hatte ihr eingeschärft, niemals etwas lächerlich zu finden, was ihr Mann tat. Dennoch musste sie sich das Lachen verkneifen, als er mit Kopf und Schultern unter alle die Massen von Baumwollstoff fuhr und darin herumschnüffelte wie ein Terrier, der eine Ratte erspäht. Sie fragte sich allerdings, wie sie jetzt ihre knielange Unterhose loswerden sollte, wenn ihr Gatte das wünschte. Doch dazu kam es nicht mehr. Überschwemmt von seinen lange zurückgehaltenen Bedürfnissen, stöhnte er auf und zuckte ein paar Mal so heftig, dass sie erschrak, dann ließ er den Kopf in den Nacken sinken und seufzte tief und wohlig.
    Als hätte sie eine Prüfung bestanden, erteilte er ihr in wohlwollendem Ton die Erlaubnis, von nun an das eheliche Bett zu benutzen.
    Anna Lisa war glücklich. In aller Eile traf sie die nötigen Vorbereitungen, in das gemeinsame Schlafgemach zu übersiedeln. Die Dienstboten, auch die kleine Gesine, beobachteten diesen Umzug mit Interesse. Natürlich sagte keiner ein Wort, aber den beiden Erwachsenen war anzusehen, dass sie die wieder einkehrende Normalität in den Beziehungen ihrer Herrschaft als Erleichterung empfanden. Fräulein Bertram beeilte sich, frische Bettwäsche aufzulegen; ihr war es stets ein Dorn im Auge gewesen, dass Tietjens sich im Bett breitmachen durfte, und eine verspätete Hochzeitsnacht auf einem Laken, das zuvor ein Hund benutzt hatte, erschien ihr als geradezu abartig. Pahti bemühte sich mit besonderer Fürsorge um seinen Herrn; nachdem er das kranke Bein versorgt hatte, wusch er ihn und half ihm, ein frisches Nachthemd anzulegen. Dann beeilte er sich, Tietjens zu versöhnen. Zwar wäre Simeon nie auf den Gedanken gekommen, seinen Liebling aus dem ehelichen Schlafgemach zu verbannen, aber »die Erhabene« empfand doch eine gewisse Kränkung, als sie auf ihre Matratze verwiesen wurde. Pahti tröstete sie mit frischem Wasser und Leckerbissen und demütig-zärtlichem Geflüster, bis sie sich zufriedengab.
    Es war eine warme, windstille Nacht. Die Sonne war verschwunden, nur ein türkisgrüner Streifen am westlichen Horizont zeigte den Ort ihres Untergangs an. Die Sterne kamen heraus. Ein Matrose ging über das Deck und zündete die Laternen an, die einen warmen Schein in die Dämmerung warfen. Die beiden Bullaugen der großen Kabine standen offen und ließen die frische, salzige Luft ein.
    Anna Lisa hatte sich in ihrem Boudoir ausgekleidet und war in Nachthemd und Morgenmantel ins Zimmer gekommen. Eine Kaskade von

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