Die Traenen des Mangrovenbaums
naives junges Mädchen besaß Menschenkenntnis genug, um zu wissen, dass ein leidender, gekränkter und körperlich behinderter Mann kein geduldiger Lehrer in intimen Dingen sein würde.
Dr. Lutter lauschte mit einer Aufmerksamkeit, die ihr wohltat. Ihr Vertrauen zu ihm wuchs mit jeder Minute. Sie vergaß ganz, dass er ein Mann und obendrein ein fremder Mann war. Sie errötete nicht einmal mehr, als er schließlich in gewichtigem und zugleich verschwörerischem Ton sagte: »Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Wäre Ihr Gatte gesund, so würde ich mich hüten, mich in die intimen Angelegenheiten eines Ehepaares zu mischen, aber da er noch eine ganze Weile invalide sein wird … Können Sie ein Geheimnis bewahren, gnädige Frau?«
Auf ihre Zusicherung hin sagte er: »Es wäre unziemlich, diese Dinge im persönlichen Gespräch zu erörtern, selbst mit einem Arzt oder Priester, aber ich werde Ihnen ein Büchlein leihen, in dem Sie alle nötigen Informationen finden. Es wurde vor allem für Frauen verfasst, deren Gatten Kriegsinvalide sind oder durch schleichende Muskelkrankheiten am natürlichen Vollzug ihrer Pflichten und dem Genuss ihrer Rechte gehindert werden. Sie müssen mir aber Ihr Ehrenwort geben, dass Sie darüber schweigen. Es gibt zu viele prüde und allzu moralische Menschen, die daran Anstoß nehmen könnten, vor allem die Geistlichkeit.«
Anna Lisa versprach feierlich, das Geheimnis zu wahren.
Er ließ seine Worte ein paar Minuten lang wirken, während er sein Glas austrank. Dann fuhr er fort: »Sie können allerdings durch diese Praktiken nicht schwanger werden. Die Hoffnung auf Erfüllung Ihrer Mutterschaft müssen Sie noch ein Stückchen in die Zukunft verschieben.«
»Das macht nichts!«, beteuerte Anna Lisa so eifrig, dass es ihr gleich darauf selbst peinlich war. Sie hatte nicht die geringste Lust, ihre ohnehin bedrückenden Probleme auch noch durch eine Schwangerschaft zu ergänzen.
Zwei Stunden später saß sie im Sonnenschein an Deck, Tietjens zu Füßen, das geheimnisvolle Büchlein in der Hand.
»Wehe dir, du sagst es ihm!«, flüsterte sie Tietjens in das faltige Schlappohr.
Das Büchlein – eigentlich kaum mehr als ein Heft – war so dünn, dass sie es mühelos in einer Illustrierten verstecken konnte, und außerdem würde sich ihr ohnehin niemand nähern, solange der riesige Hund zu ihren Füßen lag. Ihre Wangen brannten schon, bevor sie es öffnete. Der Gedanke stieg in ihr auf, wie entsetzt die gute alte Elsa gewesen wäre, hätte sie ihren Zögling mit dieser Lektüre ertappt. Aber hatte sie sich wirklich einen Vorwurf zu machen? Sie studierte das Buch doch nur, um Simeon glücklich zu machen, wie es ihre Pflicht als Gattin war. Besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen, hatte Dr. Lutter gesagt.
Aber was für besondere Maßnahmen das waren!
Anna Lisa hatte kaum die zweite Seite gelesen, als sie erschrocken gickste. Der Autor des Buches bediente sich zwar einer reichlich gewundenen Sprache und vergaß nicht, immer wieder einzuflechten, dass eine pflichtbewusste Gattin auch einmal etwas Ungewöhnliches wagen müsste, wenn es denn nicht anders sein konnte, aber – nein! Nie würde sie das über sich bringen, was er da vorschlug! Sie erinnerte sich daran, wie Simeon ihre Hand zwischen seine Beine gezogen hatte. Sehr, sehr aufregend war das gewesen und auch gar nicht unangenehm, aber sie hatte nicht erwartet, etwas so wild Zuckendes unter den Fingern zu spüren. Und seine Warnung, es könnte sie nass machen … Wie merkwürdig, dass ein und dasselbe Ding bei einem Mann zwei verschiedene Flüssigkeiten ausstoßen konnte!
»Verstehst du das?«, wandte sie sich an Tietjens. »Es müssten zwei verschiedene Röhrchen darin sein, wie Wasserhähne, oder eines, das nach Bedarf geschlossen und aufgemacht wird … Und ehrlich gesagt, diese Zeichnungen können einem den Appetit verschlagen!«
Denn illustriert war das Heft auch, mit kolorierten Kupferstichen, die genau erklärten (A, B, … F, G, …), wie ein Mann gebaut war und funktionierte. Es wurde verraten, dass das Geheimnis seiner Kraft in den überaus empfindlichen Hoden lag, die keinesfalls grob angefasst werden durften, aber bei zarter Liebkosung Wunderwerke vollbrachten. Der Penis war da viel robuster, der vertrug schon einiges an Rubbeln, aber nur in der Mitte – oben war er wiederum zart und empfindsam.
»Ich finde, Männer sind sehr kompliziert«, sagte sie zu Tietjens. »Hätte Gott das
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