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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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ihrer Gemeinschaft hätte noch Zeit – war das nicht ein sicheres Zeichen, dass sie je länger, je lieber darauf verzichtete? Aber wenn nach Ablauf der natürlichen Frist kein Stammhalter vorzuweisen war oder wenigstens irgendein Kind, sei es auch nur ein Mädchen, welcher Spott und Hohn würde sich dann über ihn ergießen! Quälend deutlich stand ihm vor Augen, wie er bei der Hochzeit, vom Wein beschwingt, vor den Verwandten geprahlt hatte: In einem Jahr würden sie nach Hamburg zurückkehren, mit einem Erben der Kaffee-Handelsgesellschaft Vanderheyden im Arm! Was für eine Schande erwartete ihn, wenn er diese Ankündigung nicht erfüllen konnte!
    Oft und oft lag der unglückliche junge Mann nachts wach, während Anna Lisa neben ihm schlief wie ein Kind – eine ahnungslose Unschuld neben einem ekelhaften wilden Geschöpf, das davon träumte, sie zu besudeln und zu verletzen.
    Simeon fühlte sich allmählich so wohl – oder das Eingesperrtsein in der Kabine wurde ihm so zuwider –, dass er Dr. Lutter bat, ihm einen Krankenstuhl zu beschaffen. Sein Wunsch wurde erfüllt, und er ließ sich jetzt öfter von Pahti hinausschieben auf das Promenadendeck. Vor allem, wenn der frische Wind des Morgens über das Schiff wehte, oder der Abend mit seiner sanften Kühle die stechende Hitze des Mittags ablöste, saß er gerne in einem Winkel der schneeweißen Aufbauten, geschützt von Wind und Sonne, und blickte über die Reling hinaus aufs Meer. Tietjens gefielen diese Aufenthalte an Deck. Sie lag zu Füßen ihres Herrn hingestreckt, eine ungeschlachte, riesenhafte Masse in einer Hülle aus fleckigem Fell, und grunzte zufrieden vor sich hin, wenn die Sonne ihren Bauch wärmte. Anna Lisa war dann immer an der Seite ihres Gatten, stets bereit, ihm zu holen, was er wünschte – wobei ihr Pahti freilich jedes Mal zuvorkam –, oder mit ihm zu plaudern. Schließlich ging es ihm so gut, dass sie sich entschloss, ihm von Godfrids Kurzbesuch an Bord der Anne-Kathrin und seiner seltsamen Warnung zu erzählen.
    Simeon lauschte, dann schüttelte er den Kopf. »Das überrascht mich. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er einen Gedanken an seine Mutter verschwendet. Aber das Thema kam bei uns nicht oft zur Sprache, wie du dir vorstellen kannst.«
    Bartimäus, so sagte er, war der Meinung, dass er alle noch eventuell offenen Rechnungen mit der Französin beglichen hatte, als er den gemeinsamen Sohn zu sich nahm. Er schickte ihr weder Geld noch Briefe und hatte sie, soweit ein Außenstehender das erkennen konnte, aus seinem Gedächtnis gestrichen. Godfrid wiederum war kein Mann, der seine persönlichen Angelegenheiten mit anderen diskutierte. Was Simeon von der Affäre wusste, hatte er – ein Bruchstück da, ein Bruchstück dort – von verschiedenen Verwandten und Bekannten erfahren.
    Madame Delphine Lafayette schien tatsächlich eine giftige Viper zu sein. In dem Punkt war man sich auf allen Seiten einig gewesen. Schön, intelligent, skrupellos und offenbar rasch bei der Hand mit unkonventionellen Lösungen für solche Probleme wie einen persönlichen Feind oder einen reichen, langweiligen Gatten. Bekannte wussten zu berichten, dass Bartimäus damals nicht nur deshalb so schnell aus Java abgereist war, weil er die üble Nachrede fürchtete – er hatte auch Angst davor, das nächste Opfer der gefährlichen Frau zu werden. Sie musste eine sehr bekannte Persönlichkeit in Batavia sein, wo sie ein Haus in der Kota bewohnte, ein ungewöhnliches Domizil für eine vermögende Europäerin, aber ein günstiger Ort, wenn man ein Spinnennetz zwielichtiger Bekanntschaften webte. Kapitäne und Händler berichteten immer wieder von ihr. Der Klatsch blühte überall, wo sie auftauchte. Ihre Affären, die sie auch im reiferen Alter nicht aufgab, ihr schier unerschöpflicher Reichtum, dessen Quellen nur teilweise bekannt waren, ihre Geldgier und Gehässigkeit, ihre mächtigen Schutzherren … all diese Umstände sorgten dafür, dass sie auch als Matrone nicht in Vergessenheit geriet.
    Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sie eine gefühlvolle Frau zu nennen, und doch: Für ihren im fernen Amsterdam lebenden Sohn empfand sie eine wahre Affenliebe. Sie bewunderte ihn, sie liebte ihn, sie sah ihn zu den höchsten Höhen des Erfolges bestimmt und war fest entschlossen, ihn auf diesem Weg zu befördern, und zwar mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen. Eines jedenfalls hatte sie mit Bartimäus noch immer gemeinsam: Die Überzeugung,

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