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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Schantung gehüllt, dessen geraffte Röcke mit flauschigen Pompons in derselben Farbe verziert waren. Trotz der Tropenhitze schien es ihr nichts auszumachen, dass sie ein halbes Dutzend Unterröcke trug – die durch einen Schlitz im Vorderteil hervorblitzten – sowie Knöpfstiefel und um die Schultern ein Tuch aus Klöppelspitze. Kein Schweißtropfen stand auf ihrem maskenhaften Gesicht. Sie roch nach Heliotrop, aber in den aufdringlich süßen Duft des Parfüms mischte sich der Geruch von Absinth, und zwar ziemlich kräftig. Die verderbliche »grüne Fee« hatte längst Besitz von ihr ergriffen, mit all den bösen Folgen, die das für den Körper und den Verstand der Absinth-Trinker bedeutete – aber noch lauerte das Verderben unterschwellig, noch sah man la belle Madame nie betrunken in der Öffentlichkeit, auch ihre Diener wussten zwar, dass sie dem Absinth verfallen war, sahen aber keine offensichtliche Wirkung. Dass die Fundamente ihrer Persönlichkeit längst unterwühlt waren, wusste sie selber nicht.
    Ihr Wagen – eine elegante weiße Kutsche, die von zwei zierlichen Pferdchen gezogen wurde – war bereits vorgefahren. Sie ließ sich von der Zofe bis zum Wagen begleiten, wies das Mädchen aber dann an, im Hause zu bleiben. Wer nichts gesehen und gehört hatte, konnte auch nichts ausschwätzen. Dem Kutscher vertraute Madame. Sie wusste zu viel über seine Schurkereien, als dass er jemals gewagt hätte, ihr Schwierigkeiten zu machen.
    Als sie ihm die Adresse nannte, zog er die Augenbrauen hoch, gab jedoch keine Widerworte, sondern bedeutete den Pferden durch ein leichtes Schnicken mit der Peitsche, sich in Gang zu setzen.
    Die Kutsche querte die benenstad und tauchte dann abrupt ein in die fremdartige Welt des Chinesenviertels, des Glodok. Hier sah man keine Kopien holländischer Häuser mehr. An den Grachten entlang standen im Schatten überhängender Bäume dicht gedrängt kleine und oft grellbunt bemalte Gebäude. An den Hausmauern hingen lange, mit fremdartigen Zeichen beschriebene Fahnen herab, die den Kunden den Weg zu den verschiedenen Läden wiesen. Ein buntes Menschengewühl drängte sich in den engen Gassen und auf den Fahrwegen entlang der Grachten. Man sah hier kaum noch ein weißes Gesicht. Die meisten Bewohner des Glodok waren die Opfer einer List, die die Kolonialregierung ersonnen hatte, um die Javaner von Aufständen abzuhalten: Man gestand diesen das Recht zu, dass sie, als die ursprünglichen Einwohner des Landes, nicht als Sklaven gehalten werden durften, es sei denn als Strafe für ein Verbrechen. Die Javaner wurden in dem falschen Gefühl gewiegt, man räume ihnen Privilegien ein, dabei bauten die Kolonialherren ihre Macht dennoch aus, indem man massenhaft billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holte. Es wurden Schiffsladungen von Asiaten aus Indien, Bali, Sulawesi, Arakan und vor allem China herbeigeschafft – unter so entsetzlichen Bedingungen, dass von den ersten Transporten nur ein Bruchteil überlebte. Im 18. Jahrhundert hatte die Bevölkerung von Batavia zu sechzig Prozent aus Sklaven bestanden, die für die Ostindische Kompagnie arbeiteten. Im Vergleich zu Sklaven an anderen Orten ging es ihnen nicht allzu schlecht, sie waren hauptsächlich im Haushalt beschäftigt, und einige Gesetze zu ihren Gunsten wurden erlassen – etwa ein Sklavenschutzgesetz, das übertriebene Grausamkeit verbot, die Freilassung christlicher Sklaven nach dem Tod ihrer ursprünglichen Herren und das Recht, die eigene Freiheit mit Geld zu erkaufen. Dennoch, Sklaven waren und blieben sie, verachtete Fremde in einer ihnen unbekannten Kultur, die ihrerseits unter dem Joch der unersättlichen Kompagnie stöhnte.
    Madame Delphine hatte die Vorhänge ihrer Kalesche zugezogen. Nur durch einen fingerbreiten Spalt beobachtete sie misstrauisch die gelbhäutigen Asiaten, die ihren täglichen Aufgaben nachgingen. An allen Ecken und Enden waren Chinesen mit ihren langen, lackschwarzen Zöpfen, blauen Kaftanen und seidenen Mützen lärmend mit Arbeiten oder Handel beschäftigt. An Betriebsamkeit konnte es niemand so leicht mit ihnen aufnehmen, sie waren bekannt für ihren Fleiß, ihr unablässiges Schaffen und Raffen.
    Die Französin wusste, wie gefahrvoll es war, sich ohne Schutz, allein mit ihrem Kutscher, in den Glodok zu begeben. Die Chinesen hassten die Weißen nicht weniger als die Javaner. Es hatte sogar einen richtigen Krieg mit an die zehntausend Toten zwischen den asiatischen Einwanderern und der

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