Die Traenen des Mangrovenbaums
holländischen Kolonialmacht gegeben – damals am 7.Oktober 1740, als den lange unterdrückten Chinesen das ewige Getretenwerden reichte und sie in einem spontanen Aufruhr fünfzig holländische Soldaten töteten. Generalgouverneur Valckenier hatte auf der Stelle 1800 Soldaten in Batavia zusammengezogen, dazu noch Milizen und Söldner. Der 9.Oktober 1740 markierte den Beginn eines zwei Wochen andauernden Pogroms, dem fast alle Chinesen in Batavia zum Opfer fielen. Inzwischen wurden sie wieder geduldet, wenn auch nur widerwillig und unter der Bedingung, dass sie sich in ihr Getto zurückzogen. Dort lebten und arbeiteten sie, abgeschottet vom Rest der Welt – und hinter ihren glatten, elfenbeinfarbenen Gesichtern brüteten ihre Gedanken über Hass, Schmerz und Rache. Kein Wunder, dass die Polizei sich vom Glodok fernhielt. Ihre Hilfe beschränkte sich darauf, alle Weißen vor dem Betreten zu warnen.
Madame Delphine hätte ihr geheimes Treffen lieber an einem anderen Ort stattfinden lassen, wo sie sicher sein konnte, nicht plötzlich einen Dolch im Rücken oder eine der langen Nadeln, bevorzugte Waffe aller javanischen Meuchelmörder, im Nacken zu spüren. Aber der Mann, dessen Hilfe sie erkaufen wollte, war argwöhnisch und vorsichtig.
Die Kutsche rollte an einem breiten Kanal entlang, der von zwei braunen Ziegelmauern eingefasst wurde. Krokodile schwammen darin: Die großen Echsen hatten herausgefunden, dass es ein sehr bequemes Leben bedeutete, sich gemächlich durch diese Suppe aus Abfällen treiben zu lassen und nur hin und wieder das Maul aufzureißen, um einen Haufen Eingeweide aus dem Hinterhof eines Metzgers, eine feiste Ratte oder einen toten Hund zu verschlingen.
Schließlich hielt das Gefährt vor einem zweistöckigen steinernen Haus, dessen Dach mit bemalten Majolika-Schindeln gedeckt war. Eine lange, im warmen Wind knatternde Fahne verriet in lateinischen und chinesischen Schriftzeichen, dass es sich um das Restaurant »Zum Goldenen Fisch« des Herrn Tao Gan handelte.
Das Rasseln des Gespanns brachte Leben in das noch geschlossene Restaurant. Sofort eilte ein Diener im blauen Kaftan herbei und verbeugte sich tief vor der Dame, die aus der Kutsche stieg. »Das Mittagessen in diesem bescheidenen Hause ist noch nicht fertig«, sagte er in erstaunlich gutem Holländisch. »Aber vielleicht wünscht die Dame à la carte zu bestellen?«
Wie abgemacht, antwortete Delphine: »Das kommt darauf an. Ist Herr Khe Pandjang immer noch der Oberaufseher der Küche?«
Es war ein abgesprochenes Passwort, denn Herr Khe Pandjang war zu seinen Lebzeiten im späten 18. Jahrhundert alles andere als ein Küchenchef gewesen. Dieser kühne junge Chinese war es gewesen, der die Überlebenden des grauenvollen Massakers vom Oktober 1740 sammelte und durch geschickte Diplomatie eine Allianz mit den Javanern schmiedete. Es war der Anfang des bis 1743 tobenden Java-Krieges.
»Danach muss die Dame den Hausherrn fragen«, antwortete der Diener. »Herr Tao Gan wird sich sofort um ihre Angelegenheit kümmern.«
Tatsächlich erschien, kaum dass der Diener sich entfernt hatte, ein eleganter Chinese in mittleren Jahren – eigentlich viel zu elegant für den Besitzer eines bürgerlichen Speisehauses. Die Hände in den Ärmeln verborgen, machte er vor Madame Delphine eine knappe Verbeugung, sprach sie aber nicht an, sondern führte sie wortlos ins Haus. Eine schmale Treppe hinauf ging es quer durch den im ersten Stock gelegenen Speisesaal in ein schmuckes Hinterzimmer, das geschlossenen Gesellschaften vorbehalten war. Tao Gan bot der Dame einen Platz in einem prächtig geschnitzten Sessel an, neben dem auf einem Rattantischchen bereits ein Sortiment an Getränken bereitstand: Palmwein, Limonenlikör, Genever, chinesischer Pflaumenwein und kalter Tee. In einer silbernen Schüssel war Knabbergebäck aufgeschichtet. Ein Öllicht warf seinen warmen, schwach zuckenden Schein über das Arrangement.
Kaum war der Chinese verschwunden, schenkte Delphine sich rasch ein Glas Genever ein und leerte es in einem Zug, dann füllte sie Limonenlikör nach. Sie war nervös, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. Man brauchte einen langen Löffel, um mit Herrn Raharjo zu essen, und es war nur klug, ihn nicht merken zu lassen, dass die Hand, die den Löffel hielt, zitterte.
Sie zuckte zusammen, als ein Schatten hinter dem mit reizvollen Arabesken verzierten Glas der Tür auftauchte und gleich darauf der javanische Edelmann eintrat. Er war elegant
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