Die Tränen meines Vaters
seinem Innern. Das Haus seiner Großeltern erstreckt sich um ihn mit spinnwebigen Winkeln und unbenutzten Räumen und sogar ganzen verschlossenen Zimmern, in denen Dinge, die nicht von dieser Welt sind, Ungeheuer und Gespenster, Platz haben zu lauern und zu atmen. Die fünf Menschen im Haus sind nicht genug, diese drohenden Gefahren zu verdrängen, die Schrecken im kohlendunklen Keller und auf dem Dachboden mit seinen Aromen von Mottenkugeln und Zedernholztruhen zu vertreiben. Wo das Dach weit heruntergezogen ist und man kaum hinkommt, gibt es aufgerollte alte Teppiche auf dem Dachboden und feine Teller mit gewellten Rändern, Petroleumlampen und wulstige Koffer, die nie wieder reisen werden, und in Stoff gebundene Photoalben voll von den «Leuten» seiner Großeltern, Vorfahren, die lange tot sind, ihm aber mit knopfblanken Augen ins Gesicht starren, sobald er eine der dicken, mit Goldschnitt versehenen Seiten aufschlägt. Die Männer haben Schnurrbärte und das Haar in der Mitte gescheitelt. Die Frauen haben das Haar straff nach hinten gekämmt und tragen steife Stufenkleider in unterschiedlichen Schwarzschattierungen. Im ganzen Haus ist Toby sich wenig benutzter Wandschränke und gruselig viel Platzes unterm Bett bewusst. Er meidet eine Hintertreppe, deren Türen nie unverriegelt sind, als ob eine Mumie oder ein Wahnsinniger dort eingesperrt wären.
Er geht selten ins Zimmer seiner Großeltern, und wenn er es tut, ist dort ein besonderer Geruch, ein Geruch nach alten Leuten, trocken und süßlich. Mitten im Haus gibt es eine bestimmte Stelle, vor der er sich fürchtet: die vordere Treppe steigt bis zu einem Absatz hinauf, von dem zwei Stufen zureinen Seite führen, zum Zimmer seiner Großeltern, und zwei auf der gegenüberliegenden Seite zum Zimmer seiner Eltern und in der Mitte dann noch einmal zwei zum Bad im ersten Stock. Wenn er zur Toilette muss, hat er Angst, dass hinter der Tür, die er zumacht, etwas auf ihn lauert, wenn er herauskommt, darum bittet er Großmutter, sich auf eine der kleinen Stufen zu setzen und auf ihn zu warten, damit er beschützt ist. Es ist ihre Pflicht, ihn zu beschützen, denn ebenso wie Toby ist sie sich der Gespenster im Haus bewusst. Er hat seinen Gespensterglauben von ihr.
Einmal, als er aus dem Bad kam, war sie auf den Stufen eingeschlafen, ihre Nickelbrille saß schief auf der scharfen kleinen Nase, und ihr Gebiss war in furchterregender Weise halb aus dem Mund gerutscht, und Toby war wütend, dass sie nicht wach geblieben war, um ihn zu beschützen. Er sprang auf sie zu und schlug ihr auf den gebückten knochigen Rücken, als sie versuchte aufzustehen. Sie stöhnte leise, während er mit Fäusten auf sie einschlug. Ihre langen grauen Haare schienen in alle Richtungen von ihrem Kopf zu fliegen. Er wusste, dass er böse war, wusste aber auch, dass sie Mutter nichts sagen würde, und selbst wenn sie es täte, würde Mutter verstehen, warum er so verärgert war. Sie ärgerte sich auch über ihre Mutter.
Das Schlimmste, das er tut, ist, seine Spielsachen zu quälen. Sein Teddybär, der blasse wollige Bruno, hat ein Glasauge eingebüßt, das vom verlockenden Braun eines Hustenbonbons für Tobys Kleinkindfinger war, in der Zeit, in die seine Erinnerung nicht zurückreicht. Das Baby, das er damals war, hat das Auge an seinem Drahtstiel ausgerissen und dann vergessen, wo es geblieben ist. Jetzt, wo er älter ist, macht es ihm Spaß, das Auge, das noch da ist, herauszuziehenund Bruno zu verhöhnen, weil er jetzt blind ist, und dann aber barmherzig zu sein und die wollige leere Stelle zu küssen und das Auge wieder hineinzustecken. Wenn er dieses Auge verliert, werden sie Bruno wegwerfen müssen, irgendwohin, wo er in völliger Dunkelheit liegt und nichts mehr sieht.
Pennies sparend und um kleine Geldgeschenke bettelnd, hat Toby sich eine Sammlung von Disney-Figuren aus Gummi zugelegt – einen Mickey mit schwarzen Armen und Beinen und einem hohlen Kopf, den man abnehmen kann vom Hals, der einen Rand hat wie die Öffnung einer Flasche; und einen Donald mit einem festen dicken weißen Hinterteil, das angenehm schwer in Tobys Hand liegt, und einen Pinocchio, der nicht so befriedigend ist mit seinen Knubbelknien und seinem rotbackigen blauäugigen Musterknabengesicht ohne die lange Nase, die einem wächst, wenn man lügt. Auf dem kahlen Fußboden neben dem Esszimmerteppich stellt er sie in einer Reihe auf und wirft sie mit einem schmutzigen Softball um wie Kegel. Am schwersten umzuhauen
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