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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Einzelheiten von Zweitwohnsitzen in Southampton, Long Island, und Dorset, Vermont, erwähnten, nicht zu reden voneinem Apartment in Miami und alljährlichen Reisen nach Chile. Obgleich sie den Milfords jugendlich erschienen, waren sie doch alt genug, um sich wegen der Zulassung ihrer Kinder zu bevorzugten Tagesschulen und, später, zu Ivy-League-Colleges große Sorgen zu machen. Wie die Sonnenpünktchen, die bei einer totalen Eklipse durch die Gebirgstäler des Mondes blinken, glitzerte ein Vermögen unbekannter Größe in ihren humorvollen, spontanen Beschwerden über die hemmungslosen Ausgaben der Verwaltungskomitees neureicher Condos und die Abgaben, die New York City an Steuern und für wohltätige Stiftungen seinen vom Glück Favorisierten zugunsten der allgegenwärtigen Armen auferlegte.
    Nicht, dass die Billings’ anders als liebenswürdig und taktvoll mit den älteren New-England-Provinzlern umgegangen wären. Milford beobachtete, dass Lorena in Gegenwart ihres Mannes auftaute und ihre Augen und ihre Stimme eine kosmopolitische Lebendigkeit annahmen, als sie auf Theaterstücke zu sprechen kam, auf Mode, auf Kunstausstellungen und auf die Dispute über Architektur in Manhattan, von denen die Milfords, wie ihr langsam dämmerte, so gut wie nichts wussten – nur das, was lahm und mit Verzögerung im
Boston Globe
berichtet wurde. Ihr Mund rutschte in den gefrorenen, unsicheren Ausdruck, mit dem sie die Fremden auf der Treppe angesprochen hatte; aber dann entschied sie, mit einem unhörbaren Klicken, dass die Milfords glücklich sein konnten, sich im Glanz anderer zu sonnen, und redete weiter.
    Billings, sah Henry mit nachempfundenem Gattenstolz, erlaubte ihr, sie selbst zu sein, sich zu entfalten. Ihre sich plusternden Locken hüpften sacht, die leise Förmlichkeitihres Englisch ging in breite New Yorker Diphthonge über. «Leute sagen uns immer wieder, dass Jap so großartig ist, aber – zweifellos liegt’s an meiner Dummheit – ich finde seine Post-Pop-Sachen so
trocken
, so – so
difundido
. Aber wir besitzen auch nichts von ihm, bis auf ein paar Lithos, die Ian mit nach Haus gebracht hat, als Jap noch mit dem Alphabet und mit Zahlen beschäftigt war. Ihr braucht ihn bloß mit, sagen wir, Botero zu vergleichen, der gerade eine Superserie von Zeichnungen über die amerikanischen Gräuel in Abu Ghraib gemacht hat – ungeheuer drastisch, wie nichts sonst, was er je gemacht hat. Sie gehören absolut in eine Reihe mit Goya,
Los desastres de la guerra
.» Als sie ins Spanische fiel, kam ein wahreres Ich zum Vorschein, scharfe Kanten und rollende «r», ihre Stimme ein bisschen tiefer, auf festem Fundament.
    Billings, der sich klarer als sie möglicher konservativer Ansichten außerhalb Manhattans bewusst war, wo der Ausdruck «amerikanische Gräuel» unter Umständen beleidigend wirkte, rückte die randlose Brille auf seiner scharfgeschnittenen Nase zurecht. Fast unhörbar räusperte er sich. Seine Frau registrierte diese kaum merklichen Zeichen. Ihre Lippen nahmen wieder den betäubten Ausdruck an, und sie lenkte das Thema auf ein anderes Gleis. «War einer von Ihnen zufällig in der Stadt, als diese dicken fetten Botero-Figuren in Bronze entlang der ganzen Park Avenue aufgestellt waren? Der Mittelstreifen hat nie so gut ausgesehen, selbst in der Tulpensaison nicht. Die Statuen
leuchteten
– sagt man so? – in der Sonne. Sie waren nobel und zum Lachen, alles auf einmal!»
    «Sagenhaft», sagte Milford und meinte ihre gesamte Darstellung.
    «Ich habe sie nie gesehn», warf Jean kühl ein, «aber ich habe irgendwo darüber gelesen. Wo stand was, Henry? In der
Time
? Aber ich kriege die
Time
doch nie zu Gesicht, oder? Höchstens beim Zahnarzt im Wartezimmer. Ach Gott», setzte sie hinzu, das Missfallen ihres Mannes über ihre Unterbrechung spürend, «wir sind solche Landeier.»
    Später, als die Milfords allein waren, sagte Jean: «Es war sehr nett von ihnen, dass sie so nachsichtig mit uns waren.»
    «Ich war fasziniert vom Gesicht ihres Mannes», sagte Milford. «Es zeigt nur das Nötigste, wie ein Happy-Face-Keks. Er gibt absolut nichts preis.»
    «Er ist Anwalt, Liebling.»
    Milford war Hochschullehrer gewesen, hatte Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung an einer kleinen, aber feinen Business School in Wellesley unterrichtet. Als er in den Ruhestand ging, entdeckte er überrascht, wie wenig das Fach ihn interessierte, seit er es nicht mehr in Vorlesungsräumen zukünftigen Profitmachern nahebringen

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