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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Tollheit der Begierde zu schmecken, obgleich die dunkle Form, auf der er lag und die ihm wie angegossen passte, die seines Körpers im Grab war.

Blaues Licht
    Der Dermatologe war ein großgewachsener, intelligenter hellhaariger Mann, der den Eindruck machte, dass von allem, was es auf der Welt gab, eine Sache ihn am wenigsten interessierte: die menschliche Haut. Zweimal im Jahr inspizierte er Fritz Fleischers Epidermis – in der Kindheit von Psoriasis befallen, in vorgerücktem Alter von Sonnenschäden gezeichnet – und sah nur flüchtig hin, verbarg kaum seinen Widerwillen. Dennoch, er hielt Schritt mit den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet. «Es gibt eine neue Technik», sagte er. «Die präkanzerösen Zellen werden aufgespürt. Bevor sie kanzerös werden. Es könnte in Ihrem Gesicht funktionieren. Blaues Licht.»
    Er sprach zögernd, schleppend und wandte den Blick von seinem fast nackten Patienten ab.
    «Blaues Licht?», wiederholte Fleischer.
    «Dasselbe Licht, wie gewöhnliche Glühbirnen es ausstrahlen. Kein Ultraviolett, kein Infrarot. Blau, nur heller. Die Haut wird mit Aceton gereinigt und dann mit Deltaaminolävulinsäure bestrichen. ALS. Das Licht dringt ein und veranlasst die Zellen zu reagieren. Sie gehen zugrunde. Sie werden zerstört.» Ein gewisser Enthusiasmus war in seineStimme gekommen. Auf seinen Rechnungen stand «Beseiti gung einer krankhaften Veränderung» und dann ein horrender Liquidationsbetrag – zweihundertneunzig Dollar, zum Beispiel – dafür, dass er einen Fleck zwei Sekunden lang mit flüssigem Stickstoff besprüht hatte.
    «Sie werden zerstört?»
    «Die schlechten», sagte der Dermatologe, sich rechtfertigend.
    «Die unreifen?»
    Fleischer hatte diesen Terminus von seinem früheren Dermatologen gelernt, einem älteren Mann, der, bevor er in rascher Folge sich zur Ruhe setzte und starb, ausführlich und liebevoll über Haut zu sprechen pflegte, den Drehsessel zurückkippend und die Augen schließend, als schaue er forschend in ein mentales Mikroskop. Präkanzeröse Zellen, erklärte er, hätten es schlicht verabsäumt zu reifen, und die reaktiven Salben – Efudex, Dovonex, Aldara –, die er verschrieb, hülfen ihnen beim Reifungsprozess. «Reifen» schien ein Euphemismus für Tod zu sein – eine unschöne Konvulsion von Zellen, die am Ende eingingen, aber nicht ohne den Patienten vorher so picklig und unsicher aussehen zu lassen wie einen Teenager. In seinem mentalen Mikroskop hatte Fleischers früherer Arzt eine helle Zukunft vorausgesehen, sobald die molekularen Geheimnisse der Haut für Manipulation und Heilung offen zutage lägen.
    Der Nachfolger des alten Heilkundigen hatte etwas gegen das Wort «unreif» mit seiner stillschweigend inbegriffenen Teleologie. «Die geschädigten», stellte er klar. Er bekundete einen schwachen, hastigen Enthusiasmus. «Sie werden ein neuer Mensch. Sehn zehn Jahre jünger aus.»
    «Ein neuer Mensch?» Fleischer bellte bei dem Gedankenein begieriges Lachen heraus, und der andere zuckte zusammen beim Anblick der Mundschleimhäute seines Patienten.
    «Ich lasse es drauf ankommen.»
    Der Dermatologe nickte unfroh. «Sheela bereitet alles vor. Montag und Donnerstag, das sind die Tage, an denen wir’s machen. Sechzehndreiviertel Minuten – das ist die Bestrahlungszeit. Kommt einem merkwürdig vor, diese Zeit, aber so hat man’s herausgefunden. Weniger ist zu wenig, und mehr bringt anscheinend nichts Nennenswertes. «Alles Gute, Mr. Fleischer.» Während Fleischer noch Luft holte, um ihm zu danken, kanterte der große blonde Mann um eine Ecke der labyrinthischen dermatologischen Abteilung der Klinik und war verschwunden.

    Sheela trug einen Sari, ein Zeichen für die Vielfalt der Abteilung. Sie war klein, hatte runde Kinderzähne und eine Haut von sanfter drawidischer Dunkelheit. Sie ungelenk überragend, fühlte Fleischer sich abstoßend fleckig und leprös bleich. «Wie weit soll ich mich ausziehen?»
    «Überhaupt nicht», sagte sie in ihrem fröhlichen Singsang. «Heute geht es nur um Ihr Gesicht.» Wattebäusche benutzend, die sich wie Kätzchenpfoten anfühlten, bestrich sie Fleischers Gesicht mit einer farblosen Flüssigkeit und dann mit einer anderen. Der Knopf in ihrem Nasenflügel blinkte an der Peripherie seines Blickfelds, während sie arbeitete und sich so behände um ihn herumbewegte wie ein Elefantendresseur. «Jetzt», sagte sie, «müssen Sie eine Stunde warten, bis die Haut alles absorbiert hat. Bitte, nehmen Sie Platz

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