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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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gedieh, um so zarte, gefährdete Frucht hervorzubringen.
    «Die Haut erinnert sich», hatte sein alter Dermatologe mehr als einmal gesagt und die Augen geschlossen, während er sich das Phänomen vergegenwärtigte. Verbrenne dir ein einziges Mal den Hintern an einem Nacktbadestrand, röste deine Nase auf einer Tagestour mit dem Segelboot, und die beleidigte Epidermis vergisst es nie. Das blaue Licht der Zeit spürt alles Unreife, alles falsch Bedachte oder gar nicht Bedachte auf. Die Welt wurde durch seine Fehler bevölkert. Es war möglich, dass seine abenteuerlustige Tochter, die gesehen hatte, dass ihre Mutter verlassen wurde für eine Frau, die eine schönere Bräune annahm, ihrem Vater und der ganzen Kette von Fleischer-Vorfahren, die in Europas Nebeln weiß gebleicht waren, ein Melanin-Geschenk gemacht hatte, geradenwegs aus der afrikanischen Wiege der Menschheit geholt.

    Auroras Söhne waren seine ersten Enkelkinder gewesen. Enthusiastisch war er die Rolle des Großvaters angegangen. Er hatte gebeten, ihr Babysitter zu sein, hatte darauf bestanden, entschlossen, «sie kennenzulernen», er hatte sich aufgedrängt, hatte Aurora und Hector in einen Film geschickt, den sie gar nicht sehen wollten. Er teilte Milch und Kekse mit den Jungen und las ihnen ethnisch gemäße Geschichten aus der großen Sammlung der Familie vor, und kurz bevor ihre Eltern nach Haus kamen, befahl er ihnen, zu Bett zu gehen. Sie waren daran gewöhnt, nach afrikanischer Art dichtaneinandergedrängt zu schlafen, im Bett ihrer Eltern. Als verzweifelte Konzession ließ Fleischer sie zusammen im unteren der Stockbetten schlafen. Sie fielen Rücken an Rücken gegeneinander wie Buchstützen und schliefen ein, ihre Hinterteile berührten sich, die zu kleinen Pyjamas waren in einem letzten Kampf gegen den Schlaf heruntergerutscht und entblößten ein bisschen nackte Haut – sanfte braune Haut, ein weicher Milchkaffeeton, halb und halb.
    Letzten Juni, als er die Kanogoris an den Swampscott-Strand eingeladen hatte, den er von seinem Condo überblicken konnte, beobachtete er, wie die beiden Jungen, beide jetzt größer und breitschultriger als er, sich auszogen, bis auf die Badehosen, die sie unter ihren Jeans anhatten, und einträchtig, gegenseitiger Herausforderung folgend, auf das noch winterliche Wasser zuliefen und sich hineinwarfen. Er war überwältigt von dem Anblick: die Breite ihrer Rücken, das Spiel ihrer Schulterblätter, die ovalen Muskeln ihrer langen Beine, die aufrechte Kraft der sich verjüngenden Säulen ihrer Hälse, ihre gespannten Achillessehnen und das Aufblitzen und Flickern ihrer nackten hellen Sohlen, als ihre Füße im eisigen blauen Wasser auf und nieder schlugen. Sie waren erwachsene Männer – prachtvoll, potent. Wäre Fleischer ihnen in einer dunklen Hintergasse begegnet, sie hätten ihm Angst gemacht. Aber sie waren sein Blut. Daniel hatte auf seiner breiten Nase eine Konstellation von Sommersprossen, die Fleischer als Kind gehabt und die Aurora geerbt hatte.
    Zwischen den beiden Bildern – seine Mulattenenkel in Pyjamas und dann in Badehosen – gab es fast nichts; er hatte sie nie kennengelernt. Ihre Köpfe waren voll von überliefertem Wissen und von Überlebensstrategien, die nichts mit ihm zutun hatten. Sie waren Wesen, die er von weitem sah, unter dem dunklen Horizont des Meeres. Als sie aus dem Wasser kamen, schlotternd, sich ungestüm trocken rubbelnd, schienen sie Fleischer mit kalter Salzwassergischt und der Wärme gesunden Fleisches zu umgeben.
    Er sagte: «Jungs, das war
heroisch
. Wie habt ihr das bloß länger als eine Sekunde ausgehalten!»
    «War halb so wild», antwortete Alfred. «Wenn man erst mal drin ist.» Er war der größere der beiden, der ruhigere und ernstere.
    In Daniels Gesicht blitzte ein Funke von Mutwillen, passend zu seinen Sommersprossen. «Du hättest es versuchen sollen, Grandpa. Es bringt deinen Kreislauf in Schwung.»
    «Nächstes Mal», versprach Fleischer.
    Aber die nächsten Male im Leben werden knapp, zumindest für Nicht-Hindus. Heute, als ihr Vater zu Besuch da war, verbarg sich hinter Auroras fröhlicher Art ein Kummer: ihre Söhne waren aus dem Haus, Alfred war im zweiten Studienjahr an der Universität von Arizona und Daniel im letzten Jahr vor der Abschlussprüfung in Deerfield. «Wie machen sie sich?», fragte Fleischer sie.
    «Gut, aber nicht gut genug für Hector. Ich sage ihm: ‹Du warst eine Ausnahme. Immer der Erste in deinem Jahrgang an der Missionsschule,

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