Die Tränen meines Vaters
der Casa de Pilatos seine Pflicht getan hatte, gelangte es mit einiger Erleichterung aus den dunklen Gassen des Ghettos auf eine etwas breitere Durchfahrtsstraße. Sie bestellten Kaffee an einem Tisch im Freien und strebten dann zu ihrem Hotel zurück. Sein Orientierungssinn sagte ihm, dass der direkteste Weg durch eine geschäftige Einbahnstraße mit einem schmalen Gehweg an der einen Seite führte. «Meinst du?», fragte seine vorsichtige Frau. «Und wenn ich vor ein Auto falle?»
«Warum solltest du vor ein Auto fallen?», sagte Fairchild spottend. «Ich bin doch unmittelbar hinter dir.»
Es stimmte, der laute Verkehrsstrom war wirklich sehr nah, als sie hintereinander den Gehweg entlanggingen, Fairchild hinter seiner Frau. Fiats und Vespas sausten vorbei und wirbelten den allgegenwärtigen Staub auf. Er achtete auf die Füße seiner Frau oder dachte an seine eigenen, als ein jäher Druck ihn aus dem Gleichgewicht und zu Boden zwang; dieser unerklärlichen Kraft zu widerstehen warihm nicht möglich. Er fiel, sich drehend, zur Seite. Und noch während er fiel, sah er zollweit von seinen Augen entfernt, die grobporige frischrasierte Wange eines dunkelhaarigen jungen Mannes; der Mann verzog das Gesicht unter einer schrecklichen Anstrengung, unter irgendwelchen Schmerzen, die auch ihm zugefügt wurden.
Dann schlug Fairchild auf den Asphalt, mit dem Gesicht nach unten. Seine Arme wurden von der unerbittlichen Kraft auf seinem Rücken festgehalten, und er sah voraus, dass seine Stirn gleich auf das harte Straßenpflaster krachen würde. Sein Gehirn hatte diesen Gedanken kaum gefasst, als das Gefühl eines momentan blindmachenden Schlags auf seine Stirn ihm sagte, dass das Schlimmste vorbei sei, dass er überleben werde.
Autos bremsten hinter ihm. Er hob den Kopf gerade rechtzeitig, um zwei Männer auf einem Moped zu sehen, die, fesch mit der gleichen schwingenden Bewegung sich zur Seite neigend, in eine Querstraße einbogen und verschwanden. Einer von ihnen war sein dunkelhaariger Gefährte im Schreckensgriff der Schwerkraft gewesen. Das Gewicht auf seinem Rücken war immer noch da, aber es hob sich jetzt vorsichtig und begann, mit weiblicher Stimme zu ihm zu sprechen, und Fairchild begriff, dass das unwiderstehliche Gewicht der Körper seiner Frau gewesen war. Er blieb einige Sekunden länger auf dem scheuernden, schmutzigen Straßenpflaster liegen, in einer Position, die sich sonderbar privilegiert anfühlte, während er die offensichtliche Tatsache genoss, dass sein Schädel den Aufprall hingenommen hatte, ohne ihn vorübergehend um sein Bewusstsein zu bringen: er war schon ein zäher alter
americano
, dachte er, als sei sein Bewusstsein ein unbeteiligter wertender Zeuge geworden.
Stück für Stück wurde der Strudel seiner Empfindungen im Nachhinein aufgeklärt. Als er mit der Hilfe mehrerer Hände wieder auf die Füße kam, erfuhr er, dass seiner Frau die Schultertasche weggerissen worden war und der sich verheddernde Riemen sie in ihn hineingezogen hatte. Sie waren fest aneinandergefesselt durch den Druck, während der dunkelhaarige Dieb darum kämpfte, seine Beute festzuhalten, ohne vom fahrenden Moped gerissen zu werden. Fairchilds aufs Pflaster geschlagenes Gehirn war in exzellenter Verfassung, bemerkte er mit Genugtuung, es arbeitete sehr schnell. Aber es war nicht schnell genug gewesen, dass er hätte hinauflangen und seinen Angreifer mit sich hätte herunterziehen können. Er hätte das für sein Leben gern gemacht – diesen Kriminellen mit sich herunter auf den dreckigen Asphalt reißen und seine glattrasierte Visage mit den Fäusten zu Brei schlagen.
Seine Frau Carol war früher Krankenschwester gewesen; Notfälle beflügelten sie immer noch. Sie sah ihm forschend ins Gesicht. Das Gleiche tat, mit weniger verhüllter Besorgnis, die Gruppe Spanier, die sich hinter ihr versammelt hatte. «Es geht mir gut», sagte er zu seiner Frau, und zu den Spaniern:
«Soy bueno. No problema.»
Seine Frau sagte sanft, mit ihrer beschwichtigenden Notfallstimme: «Liebling, versuch nicht zu sprechen. Lass uns deine Jacke ausziehen.»
«Meine Jacke?» Eine hellbraune Windjacke mit einem wärmenden Futter für den spanischen Frühling – sie hatten sie extra für diese Reise gekauft. «Warum?»
Er überlegte, ob es angebracht sei, das, was sie untereinander redeten, der versammelten Menge zu übersetzen.
«Porqué?»
, übersetzte er laut.
«Bleib ruhig», sagte sie in gleichmütigem Ton, als ob er nicht ganz bei
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