Die Tränen meines Vaters
sich sei. «Ich helfe dir, Liebling.»
Fairchild fand sie langsam übereifrig; aber als er seine Lippen bewegte, um zu protestieren, schmeckte er etwas Warmes, Salziges. Er merkte, wie ein Wanderer im Wald es merkt, wenn sein Kopf von einem Schwarm kribbelnder Mücken umgeben ist, dass er in seinen Mund hineinblutete. Er war mit der rechten Augenbraue auf den Asphalt geschlagen, der Knochenleiste dort – eine Stelle übervoll von Blut, wie er von alten Sportverletzungen wusste. Er sah jetzt klar: seine Frau, die praktisch ausgebildete Krankenschwester, hatte Sorge, dass er die neue Windjacke mit Blut bekleckern könnte. Die Jacke war nicht teuer gewesen, aber sie war offensichtlich wichtiger als seine Wunde, sein Drama, seine Beinahtragödie. Als sie ihm die Jacke sacht von den Schultern pellte, begannen die Gruppe hinter ihr und der Taxifahrer, der rechtzeitig gebremst hatte, um Fairchild nicht zu überfahren, ihren Rat anzubieten, wobei das Wort, das am lautesten hervorstach,
policía
war.
«Policía, policía»
, schienen sie im Chor zu singen.
Nachdem Carol ihm die Jacke ausgezogen hatte, griff sie in seine Hüfttasche, reichte ihm sein gefaltetes Taschentuch und bedeutete ihm, dass er es gegen seinen rechten Augenhöhlenrand pressen solle. In der Bühnenmitte, umgeben vom stockenden Verkehr, stand Fairchild groß und für jedermann sichtbar; mit der freien Hand vollführte er eine majestätische Geste, wie ein Matador, der ein spektakuläres Abschlachten von sich weist.
«Policía»
, sagte er voll Verachtung, und unfähig, «Was können die schon tun?» auf Spanisch vorzubringen, drückte er seine Meinung so aus:
«Policía – nada!»
Nach den erschreckten Gesichtern zu urteilen, hätte er eineglücklichere Formulierung finden sollen. Vor nicht allzu langer Zeit, unter Franco, war dies Land ein Polizeistaat gewesen.
Der Verkehr setzte sich hupend wieder in Gang; der Taxifahrer musste weiter, seine Arbeit tun; er trug eine Wolljacke und einen Schlips, in der förmlichen, selbstgewissen europäischen Art, und war klein und rundköpfig und sichtlich erschüttert, dass er beinah einen älteren Amerikaner überfahren hätte. Die Hand noch immer erhoben, sagte Fairchild zu ihm:
«Muchas gracias, señor – vaya con Dios.»
Der Segensspruch war ihm aus einem Patti-Page-Song, der in seiner Jünglingszeit populär gewesen war, ins Gedächtnis gedriftet. Der Menge rief er zu:
«Adiós, amigos!»
Auch das war zweifellos nicht angemessen, aber was er gern als letzten Dank ausgesprochen hätte, formte sich in seinem Kopf nur auf Französisch:
«Vous tous êtes très gentils.»
Fairchild war fröhlicher Stimmung, als er durch die antiken Gassen schlenderte und sich ein blutiges Taschentuch gegen die Augenbraue presste, während seine Frau – unverletzt, jünger als er – neben ihm trottete und seine Jacke trug, die trotz aller Besorgnis nur einen einzigen, inzwischen getrockneten Blutstropfen abbekommen hatte. «Dieser Mistkerl», sagte er, den Dieb meinend. «Was hattest du alles drin in der Tasche?»
«Mein Portemonnaie, aber es war nicht viel Geld drin. Wirklich ärgerlich ist, dass die Kreditkarten weg sind. Im Hotel können sie mir helfen, sie sperren zu lassen. Wenn sie Wasserstoffperoxid an der Rezeption haben, kann ich das Blut aus der Jacke entfernen. Zitronensaft und Salz gehen aber vielleicht auch.»
«Willst du endlich aufhören, dich mit meinem Blut zu befassen? Als du mich geheiratet hast, wusstest du, dass ich Blut habe!» Warum wütend auf sie sein?
Porqué?
Wie zur Entschuldigung sagte er: «Man hört immer von solchen Sachen, aber ich hätte nie gedacht, dass es mir mal passieren würde.» Er korrigierte sich: «Uns.» Sie lehrte ihn, so spät in seinem Leben, feministisches Mitinbegriffensein.
Carol ihrerseits erklärte: «Ich glaube, ich war so damit beschäftigt, mich auf dem Gehweg zu halten, dass ich vergessen habe, die Tasche auf die andere Schulter zu tun. Jetzt denke ich die ganze Zeit darüber nach, was alles drin war. Die Instamatic voller Aufnahmen von der Alhambra. Mein Lieblingsschal – man bekommt keine so leichte Wolle mehr. Marty, mir ist nicht gut. Das setzt mir alles sehr zu. Der Reiseführer hat uns vor Zigeunern gewarnt. Kam er dir wie ein Zigeuner vor? Ich habe ihn ja nicht gesehen.»
«Junge, aber ich. Sein Gesicht war eine Sekunde lang unmittelbar neben meinem. Er hatte keinen Ohrring, nur einen sehr entschlossenen Gesichtsausdruck. Ich nehme an, er dachte, du würdest
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