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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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sich verdickt und presse sich ihm wie Kissen gegen das Gesicht. «Warum?»
    Sie zuckte mit den Achseln und wurde sehr still über ihrer Teetasse, wie eine Kartenspielerin, die ihr Blatt nicht aus den Augen lässt. «Er sagt, ich kann mit ihm nicht mehr mithalten.»
    «Im Ernst? Was für ein eigensüchtiger narzisstischer Dreckskerl! Weißt du noch, wie du dich früher über seine Berührungen beklagt hast?»
    Sie wiederholte das fast unmerkliche Achselzucken. «Er ist ein typischer Mann. Nur ehrlicher als die meisten.»
    Les fragte sich: War das eine Spitze gegen ihn? In ihrem Spiel neu eröffneter Möglichkeiten wollte er sein Blatt nicht überreizen. Bevor er gar nichts sagte, sagte er: «Jetzt, im Winter, wirkst du nicht mehr so blass wie im Sommer. Wie kommst du mit dem Sonnenlicht zurecht?»
    «Jetzt, wo du fragst, tut es mir weh. Ich habe Lupus, sagen sie. Eine milde Form, was immer das heißt.» Ihre Grimasse schien ihm Sarkasmus auszudrücken.
    «Na», sagte Les, «dann ist es ja gut, eine milde Form. Für mich siehst du immer noch phantastisch aus.»
    Die Kellnerin kam zurück, sie bestellten hastig und brachten den Lunch verlegen hinter sich, der Unterhaltungsstoff ging ihnen aus, dieses unschuldige Geplauder, von dem er sich so lange ausgeschlossen gefühlt hatte. Aber das Plaudern war im Bett gekommen, im trägen Nachwirken erotischer Erfüllung. Veronica neigte jetzt weniger dazu, spürte Les, sich trägem Geplauder hinzugeben; sie trug ihren breithüftigen, langgliedrigen Körper vorsichtig, als könnte er explodieren. Sie hatte etwas heiß Leuchtendes, wie ein Glühfaden, in den zu viel Strom geleitet wurde. Bevor die Kellnerin ihnen ein Dessert anbieten konnte, griff Veronica nach ihrem Mantel und sagte zu Les: «Sag Lisa nichts. Einiges ist immer noch geheim.»
    Er protestierte: «Ich sage ihr nie etwas.»

    Aber er sagte ihr schließlich, dass für sie vielleicht die Zeit gekommen sei, sich scheiden zu lassen. Seine wiedererwachte Vertrautheit mit Veronica – der heutigen, zerbrechlicheren und bedürftigeren Veronica – erfüllte ihn Tag und Nacht mit ihrem Bild. Ihre Blässe war der Eingang zu einer Art Hospitalhelle geworden, ein verschwommenes Licht der Gesundung, der Heilung alter Wunden. Mit der Trennung hatte er sich nie wirklich abgefunden; jetzt würde er sich bis ans Ende seines Lebens um sie kümmern. Er sah sich, wie er ihr Bouillon ans Bett brachte, sie zu von Sorge begleiteten Terminen fuhr, beinah selbst zum Arzt wurde. Sie hatten ihre Affäre genau genommen noch nicht wieder begonnen; ihre Kontakte beschränkten sich auf Zahnarztbesuche, denn mehr zu riskieren könnte ihren juristischen Status alsbetrogene Ehefrau gefährden. Bei diesen Lunches und gelegentlichen Cocktails bekam sie mehr und mehr Ähnlichkeit mit der Geliebten, die er in Erinnerung hatte: unbefangen in ihrer Art, sich zu geben, lebhaft und leichtfüßig in der Unterhaltung, mit einem leichten Biss, der zu seinem wahren Ich durchdrang – dem heroischen, anmutig heiteren Ich, das sein stumpfes, pflichtbewusstes Leben verborgen hatte.
    «Aber warum?», fragte Lisa, die Scheidung meinend, mit der er ihr Angst gemacht hatte.
    Er konnte ihr nicht Veronicas Wiederkunft in seinem Leben gestehen, denn das hätte das Geständnis der früheren Liaison nach sich gezogen. «Ach», sagte er, «ich finde, wir haben unsere Arbeit als Paar so ziemlich erledigt. Ich kann, offen gesagt, mit dir nicht mithalten. All dein Sport. Du bist unabhängig geworden, vielleicht warst du das immer. Denk darüber nach. Bitte. Ich sage ja nicht, dass wir morgen mit den Anwälten anfangen sollen.»
    Sie ließ sich nichts vormachen. Ihre blauen Augen, die Goldsprenkel darin vergrößert durch kleine Tränenlinsen, starrten ihn an. «Hat es etwas damit zu tun, dass Veronica und Gregor sich trennen?»
    «Nein, natürlich nicht, wieso denn? Aber sie zeigen, wie man’s macht – vernünftig, mit gegenseitigem Respekt und mit Zuneigung.»
    «Von Zuneigung weiß ich nichts. Die Leute sagen, es sei unerhört von ihm, sie zu verlassen, wo es ihr doch so schlechtgeht.»
    «Es geht ihr schlecht?» Und er hatte geglaubt, der Bienenstich habe ihm die Augen gerade so weit geöffnet, dass er ihre Verletzlichkeit erkannte, ihre entzückend altmodische Neigung, in Ohnmacht zu fallen.
    «Ach, ich denke schon», sagte Lisa, «obwohl sie eine gute Show abzieht. Das hat Veronica immer getan.»
    «Siehst du, das ist es, Show. Das ist die Art, wie du denkst. Und das ist

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