Die Tränen meines Vaters
zurückkam und berichtete, dass sie kein Novocain gefunden habe. Der Arzt zuckte liebenswürdig mit den Schultern, stellte aber mit seinem Patienten keinen zwinkernden Augenkontakt über so viel weibliche Inkompetenz her. Als schließlich, nach einigem entfernten Geschnatter und Geklapper, das Anästhetikum gefunden worden war, legte Fairchild sich zurück und schloss die Augen. Er fühlte, dass eine Papiermaske auf sein Gesicht gelegt wurde. Mit ihrer besorgten Schwesternstimme schilderte Carol ihm ins Ohr, was mit ihm gemacht wurde: «Jetzt, Marty, hat er die Nadel, du wirst gleich ein Zwicken fühlen, er gibt dir Injektionen rund um die Wunde, mach keine jähe Bewegung mit dem Kopf. Jetzt nimmt er ein Stück Gaze, er wischt dir die Augenbraue sauber, mach nicht so eine Grimasse, halt dein Gesicht still.»
Benommen fühlte Fairchild das Ziehen der Stiche und die in Latexhandschuhen steckenden Fingerspitzen, die leicht auf seine Braue drückten. Wie freundlich dieser Arzt und der Polizist und diese ganze postfaschistische Nation waren! Als die Operation vorüber war, zog er seine Brieftasche hervor und hielt Kreditkarten und einen pastellfarbenen Salat aus Euroscheinen hin, aber sein Versuch zu bezahlen wurde beiseitegewischt. Stattdessen reichte man ihm einschwungvoll signiertes Dokument, das seiner Wunde einen offiziellen Status verlieh. Ein leichtes, zeremoniöses Lächeln zupfte am Zahnbürstenbärtchen. «Eine Woche», sagte der Arzt, es ein einziges Mal auf Englisch versuchend, «dann Fäden weg.»
Eine Woche später – sein blaues Auge verblasste schon – war Fairchild wieder in den Vereinigten Staaten, wo sein Arzt, ein junger Mann, nicht älter als der Zigeuner-Räuber, darüber staunte, dass die Augenbraue mit einem Seidenfaden genäht war. «In diesem Land», erklärte er, «sieht man keine mit Seide genähten Wunden mehr.»
Warum war dieses unangenehme Ereignis – überfallen und verletzt zu werden in einem fremden Land – für Fairchild so angenehm? Es hatte, so vermutete er, mit Nähe zu tun. In seinem Universum sich beschleunigender Ausdehnung hatte er immer seltener das Vergnügen, Nähe zu spüren. Als er in den Ruhestand ging, hatte er den Kontakt zu seinen alten Partnern verloren, sosehr sie sich beim Abschied auch versprochen hatten, weiterhin geselligen Umgang zu pflegen. Seine Kinder waren erwachsen und in alle Himmelsrichtungen zerstreut, und die Enkelkinder in seiner Reichweite hatten nur höfliches Interesse an den schalen Vergnügungen – den schwachsinnigen Kinderfilmen, den Ausflügen zu kakophonen, unauslöschlich nach den Zigaretten des vorigen Jahrhunderts riechenden Bowlingbahnen –, die er zu bieten hatte. Seine alte Pokerrunde, acht Leute, die gerade um einen Esszimmertisch passten, hatte zunehmend Schwierigkeiten, das Minimum von fünf Spielern zusammenzubringen, und sein alter Golfvierer hatte sich in die Gebrechlichkeit, nach Florida, wenn nicht gar ins Grab verabschiedet.Einen Partner gab es noch, er teilte Fairchilds altmodische Aversion gegen Elektrocarts auf dem Golfplatz und war bereit, mit ihm zu Fuß zu gehen; dann, eines Wintermorgens, tauchte unvermutet die hübsche, seit zwanzig Jahren nicht mehr aktuelle Photographie dieses Freundes unter den Todesanzeigen im
Boston Globe
auf.
Abgesehen von den Todesanzeigen stand in den Zeitungen immer weniger, das Fairchild betraf – entscheidende Sportwettkämpfe, brennende soziale Fragen, internationale Krisen, alles fand oberhalb eines bestimmten Horizonts statt. Eine Krümmung in Sachen von Bedeutung ließ ihn außen vor; er war isoliert. Selbst seine Ärzte und Finanzberater, die Sachwalter seines Alters, waren zunehmend schwer zu erreichen, versteckten sich hinter einem Schirm aufgezeichneter Nachrichten und Sekretärinnen, deren hastige Einwanderer-Akzente für Fairchild schwer zu enträtseln waren. Wenn eine Herzattacke oder ein katastrophaler Rückgang an der Börse ihn befiele, ließe man ihn am Telephon hängen, während schimmernde Ströme von Vivaldi oder, noch beleidigender, klebrige Instrumentalarrangements alter Beatles-Songs die endlose Wartezeit bis zum nächsten freien Mitarbeiter füllten.
Im Gegensatz dazu hatte es den spanischen Arzt gegeben, seine feste samtige Berührung, und den Beamten der
policía
, der ihnen in stoischem Schweigen eine Tour durch das wahre Sevilla geboten hatte, und den schwärzlichen jungen Räuber, nicht unbedingt ein Zigeuner, aber entschieden dunkel, mit glänzenden
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