Die Tränen meines Vaters
gehallt wie ein Donnerschlag. «Du hast nichts falsch gemacht», versicherte ich Deb, obgleich ich in meinem Herzen fühlte, dass meine Mutter zu kränken falsch war, eine Ursünde. Ich machte es Deb zum Vorwurf, dass sie meine Unterwäsche mit ihrer zusammengeworfen hatte; sie hätte die Folgen, die Verwicklungen vorausahnen müssen. «Das ist ihre Art, so ist sie eben.»
«Sie sollte wieder zu sich kommen und es schlucken», war Debs Antwort, so laut, dass ich Angst hatte, sie könnte oben zu hören sein. Mit Staunen wurde mir klar, dass sie nicht sofein auf die Zorneswellen meiner Mutter abgestimmt war wie ich. Sie war nicht von Geburt gebaut, ihnen standzuhalten.
Neben dem Sofa, auf dem wir saßen, korrigierte mein Vater trübselig Mathematikarbeiten in seinem Schaukelstuhl und sagte: «Mildred denkt sich nichts dabei. Es ist ihre Weiblichkeit, die verrücktspielt.»
Weiblichkeit erklärte und rechtfertigte alles für seine sexistische Generation, aber nicht für meine. Ich fand diese Spannungen beschämend.
Bei diesem Besuch oder vielleicht bei einem späteren begann Deb, in der Annahme, eine gute Tat zu tun, eines Sonntagmorgens das Stiefmütterchenbeet zu jäten, das meine Mutter neben der hinteren Veranda angelegt und dann vergessen hatte. Deb stand verständnislos, mit süßen nackten Füßen, im weichen Erdreich, wie Ingrid Bergman in
Stromboli
, als ich ihr erklärte, dass in dieser Gegend hier niemand am Sonntag arbeite, dass alle in die Kirche gingen. «Wie albern», sagte Deb. «Mein Vater baut den ganzen Sommer über seine Mauern und was er sonst noch macht, am Sonntag.»
«Er hat eine andere Konfession.»
«Jim, ich kann das nicht glauben. Beim besten Willen nicht.»
«Schsch. Sie ist drinnen und knallt mit Tellern um sich.»
«Lass sie doch. Es sind ihre Teller.»
«Und wir müssen uns für die Kirche fertig machen.»
«Ich habe keine Kirchenkleider dabei.»
«Zieh einfach Schuhe an und das Kleid, das du im Zug anhattest.»
«Den Teufel werd ich. Ich würde idiotisch aussehen. Ich bleibe hier und jäte Unkraut. Deine Großeltern bleiben auch, oder?»
«Meine Großmutter. Mein Großvater geht mit. Er liest jeden Tag auf dem Sofa in der Bibel, ist dir das nicht aufgefallen?»
«Ich wusste nicht, dass es in Amerika noch so was gibt wie das hier.»
«Also –»
Meine Antwort würde lahm ausfallen, sah sie mit diesen silberblauen Augen, und so unterbrach sie mich. «Mir ist jetzt klar, woher du deinen Unsinn hast und warum du dich Daddy gegenüber so unhöflich benimmst.»
Ich war empört und gleichzeitig elektrisiert, denn ich begriff plötzlich, dass es möglich war, sich gegen meine Mutter zu wehren. Deb blieb an diesem Sonntag bei meiner Großmutter, die von der Parkinson’schen Krankheit verkrüppelt und der Sprache beraubt war. Meine Unhöflichkeit gegenüber Reverend Whitworth war gerächt, als er anlässlich der Taufe unseres ersten Kindes, seines ersten Enkelkindes, in einem gründlich ausgehandelten unitarischen Familiengottesdienst im Haus der lutherischen Großeltern, einen huldvollen kleinen Scherz über das «heilige Wasser» machte – Wasser, das aus unserer eigenen Quelle stammte, die unterhalb des Hauses war und nicht, wie in Vermont, auf einer Anhöhe darüber. Meine Mutter war für den Rest des Tages eingeschnappt und sprach von Catherine, unserem ersten Kind, immer als von «dem Baby, das nicht getauft worden ist». Als die drei anderen Kinder kamen, waren Deb und ich nach Massachusetts übergesiedelt, wo wir uns kennengelernt und ineinander verliebt hatten, und schlossen einen vernünftigen Kompromiss, indem wir der Kongregationalistenkirche beitraten.
Wir sind umgeben von heiligem Wasser; alles Wasser, unsere chemische Mutter, ist heilig. Wenn ich von Boston nach New York fliege, nehme ich aus Gewohnheit immer einen Platz auf der rechten Seite des Flugzeugs, aber neulich saß ich auf der linken, es war heller Vormittag, und ich wurde belohnt von den Spiegelungen der Sonne auf den Wassern von Connecticut – nicht nur auf den Flüssen und dem Sund, auch auf kleinen Teichen und Tümpeln und funkelnden Bachläufen, die für wenige Sekunden silbernes Licht himmelwärts in meine Augen schleuderten. Die Tränen meines Vaters hatten einen Augenblick lang das Licht eingefangen; so sah ich sie. Als er tot war, ließen Deb und ich uns scheiden. Warum? Es ist schwer zu sagen. «Wir haben jeder einen anderen Siedepunkt», hatte Emerson gesagt, und eine Frau lief mir über
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