Die Tränen meines Vaters
fand der Taxifahrer für uns ein Airline-Büro, das geöffnet war. Ich werde nie die Höflichkeit und Geduld vergessen, mit der der junge Angestellte der Fluggesellschaft in seinem Schulbuch-Englisch unsere Tickets nach Boston für die nächste Woche entgegennahm und sie in Tickets nach Philadelphia für den nächsten Tag umschrieb. Damals flogen mehr Maschinen, und es gab mehr leere Plätze. Wir buchten einen Abendflug nach London und mussten dort die Nacht verbringen. Auf der London abgewandten Seite von Heathrow reihte sich ein neues großes Hotel für Transitpassagiere ans andere.Wir waren gegen Mitternacht in unserem Zimmer. Ich rief meine Mutter an – in Pennsylvania war Abendbrotzeit – und erfuhr, dass mein Vater gestorben war. Für meine Mutter war diese Nachricht einige Stunden alt, und sie schilderte mir in müdem Rückblick, wie sie den Nachmittag über im Krankenhaus in Alton saß und die Informationen, die sie erhielt, immer beunruhigender wurden. Sie sagte: «Doc Shirk hat gesagt, dein Vater hat am Ende heftig gekämpft. Es war entsetzlich.»
Ich legte auf und teilte Deb die Nachricht mit. Sie nahm mich im Bett in ihre Arme und sagte: «Weine.» Obgleich ich die Gelegenheit sah und die Berechtigung, sie zu ergreifen, glaube ich nicht, dass ich geweint habe. Die Tränen meines Vaters hatten meine aufgebraucht.
Kinderszenen
Fenster rahmen Bilder der Welt draußen. Ein Fenster, das auf die Seitenveranda hinausgeht, zeigt die gestrichenen, an den Kanten sanft abgerundeten Dielenbretter, die geschwungenen Rückenlehnen der Korbsessel und am Ende der Veranda die Klinker des Wegs, wo er sich verbreitert unter der Weinlaube, und die zerfransten Lücken zwischen den Weinblättern, durch die man das Sonnenlicht und Teile des Gartens sieht. Ameisen werfen Hügel zwischen den Klinkern auf, wie Kaffeesatz, und die Weinreben halten sich an den Latten der Laube mit feinen blassgrünen Schnörkelranken fest, die so etwas wie Buchstaben bilden: das sind Dinge, die Toby weiß, weil er viel draußen ist und genau hinsieht. Was er nicht weiß und wonach er nie fragt, weil er nicht daran denkt, ist, wer die Laube gebaut hat, wer auf die Idee gekommen ist, seine Großeltern oder die Leute, denen das Haus früher gehört hat? Es wird ihm nie einfallen, danach zu fragen. Einmal begann er, Rankenbuchstaben zu sammeln – A, B, C –, er wollte ein ganzes Alphabet zusammenbringen, kam aber nie über das D hinaus.
Wenn Daddy abends in einem Korbsessel sitzt, zusammen mit den andern Erwachsenen, alle in einer Reihe, und eineZigarette über das Verandageländer schnippt, zieht der rote Stern schräggekippte Schleifen in der Luft, bevor er auf den Klinkern in viele kleine Funken zersprüht. Die Weintrauben machen im Herbst ein Geschmier auf den Klinkern; niemandem fällt es ein, sie aufzuheben, wenn sie herunterfallen. Die Scheiben des Fensters haben Blasen, wie Tränentropfen, die die Ränder aller Dinge verkrümmen, wenn Toby leicht den Kopf bewegt, ein bisschen wie wenn böse Jungen eine Lupe über eine eilig trippelnde braune Ameise halten, bis sie sich nicht mehr rührt und sich zusammenzieht mit einem Knacken, das man fast hören kann, das man in sich selbst spürt.
Das dünne Glas trennt die Welt draußen, die normal ist, vom Innern des Hauses, wo es etwas gibt, das vom Normalen abweicht und traurig und falsch ist. Die Ansicht, dass die Stadt eine ganz gewöhnliche Stadt ist und genauso wie viele andere, ist in der Luft, zusammen mit Glühwürmchen im Sommer und Schneeflocken im Winter. Toby sieht nichts Gewöhnliches an der Stadt. Sie ist ein winziger Teil der Welt, aber der Teil, der ihm am nächsten ist. In seinem Herzen weiß er, dass es die beste Stadt der Welt ist und er die wichtigste Person, obwohl er das niemals den Erwachsenen sagen würde, mit denen er lebt. Es sind vier – Mutter, Daddy, Großvater und Großmutter –, so wie das Haus vier Seiten hat.
Auf der Seite mit der Veranda und der Weinlaube, zur Hintergasse, der Alley, hin, die hinter der eckig gestutzten Hecke entlangführt und die die größeren Jungen, laut und rüpelig redend, unterwegs zum Schulgelände und dem Baseballfeld, als Abkürzung benutzen, gibt es einen Seitengarten. Tobys Mutter und Großmutter regieren über dieses gehätschelte,komplizierte Gartenstück, einen Ausstellungsplatz mit Blumenbeeten und Blütenbüschen, gehegt und gepflegt für die Nachbarn, falls sie mal vorbeigehen und über die Hecke schauen. Die Büsche brauchen
Weitere Kostenlose Bücher