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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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einverstanden. Manchmal drehen sie auf der Seitenveranda die Korbsessel um, mit den Sitzflächen nach unten, und tun so, als ob es Höhlen wären, in denen sie sich vor Indianern oder Räubern verstecken müssen. Oder sie schneiden aus Papier Äpfel und Birnen und Bananen aus, malen sie an und arrangieren sie in einer leeren Apfelsinenkiste, um sie ausgedachten Kunden zu verkaufen.
    Wilma mag seinen Garten hinterm Haus mit dem saftigen Rasen und den vielen Bäumen, verglichen mit ihrem. Bei ihr gibt es kein Gras, ihre Familie hat alles zertrampelt,und am hinteren Ende ist ein Mischlingshund angebunden. Der Hund hat sich einmal auf Toby stürzen wollen, hat an der Kette gezerrt und geknurrt und grässliches blaues Zahnfleisch gezeigt. Toby vermeidet es, im Haus der Dobrinskis zu spielen, es ist innen sehr eng und hat kein fließend Wasser. Mrs. Dobrinski wäscht Wilma, indem sie sie in der Küche auf einen Stuhl stellt und sie von oben bis unten mit einem Waschlappen abreibt, den sie in einer Kumme voll Seifenwasser nass macht. Toby weiß das, weil er einmal durch den Spalt gespäht hat, als die Küchentür nicht ganz zu war, bis Mrs. Dobrinski laut verkündete, dass er sich sehr ungezogen benehme. Wie hatte sie sehen können, dass er linste? Hatte sein spionierendes Auge im Türspalt geglitzert? Mädchen, stellte er fest, sahen von hinten aus wie er, aber vorn war etwas anderes, kaum der Rede wert, eine kleine Kerbe.
    Aus irgendeinem unerfindlichen Grund gibt es keine Jungen in seinem Alter in der Nachbarschaft, diesseits der Straße, die er nicht allein überqueren darf. Ein rowdyhafter Junge, Warren Frye, in Wilmas Klasse, wohnt in der anderen Richtung, am unteren Ende der Alley, wo sie am Schulgelände einen Bogen macht und zur Straße wird, mit einer Häuserreihe auf der einen Seite. Er kommt zu Toby in den Garten vom unteren Ende her, am Hühnerhaus neben den Gemüsebeeten vorbei. Großmutter mag ihn nicht. Sie hat nichts übrig für seine «Leute». Sie hat die Fryes schon gekannt, als sie selbst noch ein Kind war, lange bevor Toby geboren wurde. Er mag nicht gern über diese sonderbare tiefe leere Zeitspanne nachdenken.
    Einmal, als Warren und Toby auf dem Linoleumboden in der Küche miteinander rauften – sie kämpften, weil Warren Tobys Spielsachen zu grob behandelt hatte und Tobydann hänselte, weil der so ein Theater darum machte, als ob die Spielsachen Gefühle hätten, was sie nicht haben, und dass es weibisch wär, hatte er gesagt, so zu tun, als hätten sie welche –, stellte Toby ihm heimlich ein Bein, sodass Warren mit dem Kopf gegen die Heizkörperrippen knallte und das Blut durch seine Haare hindurchsickerte, als ob er sterben müsste. Toby war starr vor Schreck. Großmutter machte Warren einen hübschen akkuraten Verband aus einem Staubtuch und schickte ihn, noch immer blutend, nach Hause. Und obgleich Warren am nächsten Tag, schon fast wie neu, wiederkam, brachte er das Staubtuch nie zurück. Wenn man Großmutter die Geschichte erzählen hörte, hatte es nie ein Staubtuch gegeben, das es mit ihrem an Vortrefflichkeit aufnehmen konnte. Indem er nicht starb, hatte Warren sie betrogen.
    Großmutter mag Wilmas Leute genauso wenig. Was ihr nicht gefällt, ist, dass Wilma so viele Brüder und Schwestern hat, und es hat mit Geld zu tun, obwohl nach dem, was Toby im Haus mitbekommt, Großvater sein Geld verloren hat; es ist beim Börsenkrach draufgegangen. Das Geld, von dem sie leben, verdient Daddy, der Lehrer an der Schule ist, und es wird in einer kleinen rot-weißen Blechbüchse, auf der «Re zepte » steht, oben auf dem Eisschrank aufbewahrt. Die Erwachsenen greifen hinein, wenn sie zum Einkaufen gehen, Großvater zu Hen Geigers kleinem Lebensmittelladen im Vorderzimmer, ein paar Häuser von Wilmas Haus entfernt, die Fußbodendielen so abgetreten, dass die Nagelköpfe glänzen, und Mutter und Großmutter zwei Straßenecken bergauf zu Pep Sheaffers größerem Laden, in dem es mehr Eiscremesorten gibt und Fleisch, so frisch, dass das Blut auf den Hackklotz tropft, der kreuz und quer von der Klinge desHackbeils gekerbt ist. Pep hat eine Kühlkammer, in die er hineingeht, ohne sich bücken zu müssen, und wenn er herauskommt, hat er eine weiße Atemwolke vorm Mund, wie man sie im Januar hat. Als Toby groß genug war, einen Küchenstuhl an den Eisschrank zu rücken und sich daraufzustellen, durfte er auch in die Büchse greifen und sich fünf Cent herausnehmen, um sich nach dem Mittagessen auf dem Weg

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