Die Träume der Libussa (German Edition)
ich
bin erschöpft.“
Aber Frederik
blieb hartnäckig stehen. „Hast du überlegt, was dein Gemahl von Gundolfs
Intrigen halten wird, sobald er alles erfährt?“
Radegund
fröstelte. Was war aus dem harmlosen Kind geworden?
„Ich werde ihm
alles erklären, damit er es versteht.“
„Und bist du dir
sicher, dass er es verstehen wird? Tschastawa bin ich vielleicht noch
gleichgültig, aber Lidomir liebt dich.“
Sie fuhr wütend
auf. „Worauf willst du hinaus?“
Frederik trat
einen Schritt auf sie zu. „Überlege, ob es nicht angebracht wäre, ihm alles zu
erzählen. Mir scheint das die beste Lösung. Sage ihm, was Gundolf vorhat. Einen
geliebten Menschen sollte man nicht hintergehen.“
Sie stellte ihren
Weinbecher heftig auf das Tischchen neben der Bettstatt. „Ich brauche keine
Belehrungen von einem Halbwüchsigen. Lass mich in Frieden!“
Der Junge fuhr
erschrocken zusammen und eilte zur Tür.
„Frederik!“, rief
sie ihm hinterher. Es war ihm gelungen, sie zu verärgern, und sie hatte
plötzlich das Bedürfnis, auch seine Überzeugung ein wenig zu erschüttern.
„Wenn du von
einem Leben an Tschastawas Seite träumst, denkst du da manchmal auch an dein
Keuschheitsgelübde?“, fragte sie lächelnd. Ein feiner Hauch von Rosa zog sich
über sein Gesicht, aber er sprach ohne Zögern.
„Ich kam als Kind
ins Kloster. Ich bin Waise. Ein Gelübde habe ich noch nicht abgelegt, denn dazu
bin ich zu jung. Zunächst war ich mir sicher, dass ich diesen Weg gehen würde,
aber nun kommen mir manchmal Zweifel. Davon abgesehen haben viele Gottesmänner
in heiliger Keuschheit mit Frauen zusammengelebt, in der alten Zeit,
bevor es für alles Vorschriften der Bischöfe gab. Sie nahmen sich unseren Herrn
Jesus und Maria Magdalena als Beispiel.“ Er nickte freundlich, bevor er die
Kammer verließ.
Radegund ließ
sich auf ihre Bettstatt fallen. Wenn Maria Magdalena so ausgesehen hatte wie
Tschastawa, dann würde sie für die Keuschheit des Herrn Jesus nicht die Hand
ins Feuer legen, dachte sie kichernd. Sollte Kazis Tochter je bereit sein,
ihren braunen Leib an Frederiks dürre, blasse Gestalt zu pressen, dann würde
der Junge der Fleischeslust ebenso selbstverständlich frönen wie ein Vogel dem
Fliegen. Die Vorstellung belustigte sie eine Weile, konnte sie aber nicht
wirklich von ihren Sorgen ablenken.
Vielleicht hatte
Frederik Recht. Sie sollte mit Lidomir reden, solange noch Zeit war, denn
ansonsten gefährdete sie ihre Ehe. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie Lidomir
es aufnehmen würde, dass seine Familie derart hintergangen worden war. Falls
Gundolf seine Pläne trotzdem verwirklichte, würde er sich damit abfinden
müssen, sie aber deshalb nicht hassen.
Sie würde mit ihm
reden, auch wenn ihr die Angst vor dem Gespräch tief in den Knochen saß. Aber
nicht heute. Sie war zu erschöpft für eine weitere anstrengende Unterhaltung.
9
Libussa
musterte die vertrauten Holzwände des Raumes, an denen Tücher, bestickt mit dem
Kreuz der Mokosch sowie mit bunten Blumen, den Zeichen der jungen Morana,
hingen. Wie oft hatte sie hier gesessen und wie viele Male zuvor in dem ähnlich
großen Saal von Chrasten! Bald würde sie wieder die alten Gesichter sehen, nun
von Falten durchzogen wie das ihre und mit angegrautem Haar. Menschen, die sie
als winzige, schreiende Wesen in den Armen ihrer Ammen erlebt hatte, waren
indessen zu jungen Erwachsenen herangewachsen, neugierig und voller
Lebensdrang. Alte Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Kazi, die den zahnlosen
Kater aus den Armen des Knechts riss, der ihn in den Fluss werfen wollte.
Thetka nach ihrem ersten Kupala-Fest, die von Slavoniks muskulösem Körper
schwärmte und dabei kaum ein Detail ausließ, auch wenn es den jüngeren
Schwestern peinlich war. Damals war jeder Tag lang gewesen. Jedes Jahr zog sich
endlos. Doch je älter man wurde, desto schneller eilte die Zeit dahin.
Hatte Kazi
nicht einmal erzählt, dass sterbende Menschen oft an ihre Jugend zurückdachten?
Hedwig riss sie
aus ihren Gedanken.
„Die Gäste sind
alle eingetroffen, Herrin, und in der Küche hat man das Mahl vorbereitet. Soll
nun aufgetragen werden?“
Libussa nickte.
Sie war bemüht, gleichmütig und gefasst auszusehen, denn Hedwigs Blick schien
ihr besorgt. Hatte Kazi der Sächsin irgendetwas verraten? Das konnte sie sich
nicht vorstellen, denn auf die Schweigsamkeit der ältesten Schwester war stets
Verlass gewesen.
Kazi schmierte
regelmäßig eine Salbe aus Honig auf die
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