Die Träume der Libussa (German Edition)
geschwollene Stelle an Libussas Bauch.
Sie meinte, das Geschwür sei nicht gewachsen. Außerdem braute sie Brühen aus
Kräutern, die beruhigten und erlösenden Schlaf schenkten. Gegen Schwermut
empfahl sie Wermutwein. Seit Monaten hatte Libussa sich nicht mehr so gut
gefühlt wie in den letzten Tagen. Manchmal keimte Hoffnung auf. Vielleicht
hatte sie doch noch viele Jahre vor sich, die mit Kazis Hilfe fast schmerzfrei
blieben. Sie hatte bisher nicht den Mut gefunden, Premysl die Wahrheit zu
erzählen, obwohl Kazi darauf drängte.
„Er hat ein
Recht, zu wissen, dass eure gemeinsame Zeit vielleicht begrenzt ist", ermahnte
sie. Doch war das Leben auf Erden nicht immer begrenzt? Sie hätten bereits
damals im Wald als junge Menschen sterben können, durchbohrt von den Schwertern
der Krieger Neklans. Jeder Augenblick konnte ins Totenreich führen. Premysl war
kein Narr, um das nicht zu wissen.
Trotzdem war
ihr klar, dass sie mit ihm reden musste. Nun, da sie sich besser fühlte, sehnte
sie sich wieder nach der Nähe seines Körpers. Vielleicht hatten sie nicht mehr
viel Zeit, einander Lust zu schenken. Doch die Schwellung an ihrem Bauch würde
er dabei sicher bemerken.
Sie beschloss,
eine günstige Gelegenheit abzuwarten, sobald die Ernennung von Mnata zum
Stammesführer erfolgt war, zu der Premysl sie drängte. Er hatte etwas von bösen
Gerüchten über die Awaren erzählt, die er für frei erfunden hielt. Er
misstraute dem alten Mönch. Seit Verden verabscheute er alle Franken und
Christen. Libussa mochte diesen Gundolf ebensowenig, doch was konnte ein
einzelner Mönch in Praha schon ausrichten? Eine warnende innere Stimme ermahnte
sie jedoch, den großen, finster dreinblickenden Mann nicht zu unterschätzen.
Sie überlegte,
dass sie ihn wieder nach Regensburg schicken könnte. Das wäre die einfachste
Lösung. Der Gedanke gefiel ihr, denn sie sehnte sich nach Frieden. Aber Premysl
hatte davor gewarnt. Wenn der Bischof von Regensburg persönlich diesen Mann
gesandt hatte, würde er dessen Vertreibung als eine Beleidigung empfinden.
Sie durfte die
Franken nicht herausfordern. Es war ihre Aufgabe, die alten Sitten zu wahren,
auch wenn die fürstlichen Clans einiger Stämme sie abschaffen wollten, den
Glauben an die Götter am Leben zu halten, für das Allgemeinwohl zu sorgen,
Streitfälle zu schlichten. Sie fühlte sich müde. Manchmal fiel ihr Kazis Rat
wieder ein, sie solle sich um ihr eigenes Wohlergehen kümmern. Sie träumte von
der Freiheit, die sie einst als junges Mädchen genossen hatte, bevor ihre
Mutter starb und sie die Nachfolge antrat. Doch es stand ihr nicht zu, ihre
Ämter niederzulegen, solange sie noch in der Lage war, sie auszuüben.
Die Mägde hatten
die Tafel gedeckt, und allmählich füllte sich der Saal mit Gästen, den
Fürstinnen und Fürsten der Stämme mit ihrem Gefolge. Alte, vertraute Gesichter,
auf denen die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte, begleitet von ihrem
Nachwuchs. Ein lautes Stimmengewirr herrschte im Saal.
Erics Haar
hatte sich kaum verändert, es schien nur ein paar Schattierungen heller. Thetka
hatte an Körperfülle zugelegt. Eine stattliche Priesterin des nordischen Gottes
war aus ihr geworden. Vlasta schien eine Mischung zwischen beiden, das breite,
sinnliche Gesicht ihrer Mutter umrahmt von Erics feinem silberblondem Haar. Sie
bewegte sich so männlich wie ihr Vater oder die anderen Krieger, bar allen
Verlangens, Aufmerksamkeit auf die weiblichen Formen ihres Körpers zu lenken.
Thetka hingegen genoss es weiterhin, sich aufreizend zu bewegen und laut zu
schäkern. Sie tat dies mit solcher Selbstverständlichkeit, dass sie trotz ihres
Alters nicht lächerlich wirkte. Die Tochter jedoch hielt sich sogar bei den
rituellen Festen von Männern fern. Libussa ahnte, dass Thetka dieses Verhalten
der Tochter missfiel. Sie hätte nichts gegen einen Sohn gehabt und wünschte
sich vermutlich nun einen Gefährten für Vlasta sowie baldigen Nachwuchs. Auch
Thetka würde lernen müssen, dass man das Wesen seiner Kinder zwar beeinflussen,
aber nicht ändern konnte.
Kazi stand
zwischen Vojen und Tschastawa, ein Stück entfernt vom Rest der Familie. Libussa
bemerkte Radegunds kunstvolle Frisur, in die bunte Schmucksteine eingeflochten
waren, und die ineinander verwobenen, farblich abgestimmten Stickereien auf
ihrem Gewand. Viel Mühe und Überlegungen waren notwendig, um sich derart
herauszuputzen. Sollte jemand die Fränkin einmal mitten in der Nacht aus dem
Schlaf reißen,
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