Die Träume der Libussa (German Edition)
Kurzschwert aus ihrem
Gürtel. Libussa griff ebenfalls nach ihrem Dolch, doch war sie sich nicht
sicher, ob sie einem Kampf noch gewachsen war.
Ein einzelner
Reiter jagte über die Lichtung auf sie zu, nach vorne gebeugt und ohne Waffe in
der Hand, was Libussa beruhigte. Sie ließ den Dolch sinken und wartete
gelassen, welche Begegnung die Götter ihr noch bestimmt hatten, bevor sie
endlich Frieden fand.
Der Reiter trug
Beinkleider, eine Tunika und Schnürstiefel. Sein Kopf verbarg sich in einer
Kapuze. Erst als er diese zurückgezogen hatte, erkannte Libussa das feine, zu
einem Zopf geflochtene Blondhaar. Vlastas Augen funkelten sie zornig an.
„Es stimmt
also. Du willst dich davonstehlen“, fauchte sie.
„Wie kannst du
es wagen, so mit deiner Fürstin zu reden?“, erklang Hedwigs raue Stimme, bevor
Libussa etwas erwidern konnte.
„Sie ist nicht
mehr meine Fürstin. Sie hat all ihre Ämter einem Mann in den Rachen geworfen,
um nun in Frieden beten zu können. Daran, was sie damit ihrem Volk antut, vor
allem den Frauen, hat sie wohl keinen einzigen Gedanken verschwendet.“
Libussa fühlte
sich, als hätte ihr Vlasta einen Schlag versetzt. Dabei hatte sie gehofft, mit
dem Abschied auch alle Vorwürfe hinter sich zu lassen.
„Ich habe all
meine Macht nicht irgendeinem Mann übergeben, sondern einem sehr klugen und
gerechten. Du kennst Premysl doch, Vlasta. Glaubst du wirklich, dass Frauen
oder auch Männer unter seiner Herrschaft leiden werden?“, sagte sie so
besänftigend wie möglich. Vlasta schnaufte, doch Libussas Tonfall schien ihre
Wut etwas gedämpft zu haben.
„Trotzdem hast
du unsere Traditionen geändert“, begann sie nun ruhiger. „Der Stammesführer
steht an der Seite einer Hohen Priesterin. Sie entscheiden gemeinsam. Was soll
aus den Frauen werden, wenn nur noch Männer das Sagen haben? Es wird uns gehen
wie den Christinnen und den Frauen der Awaren. Hast du nie gehört, was die entlaufenen
Sklavinnen erzählen? Man wird uns an fremde Männer geben, ohne sich um unser
Einverständnis zu kümmern. Wir werden kein Recht mehr haben, selbst über unser
Leben zu bestimmen. Nichts als Vieh werden wir sein, und das alles nur, weil du
zu feige warst, dagegen anzugehen. Warum hast du dieser Fränkin überhaupt
erlaubt, die beiden Kuttenträger hierher kommen zu lassen? Aus Gutherzigkeit?
Es war deine verfluchte Güte, die dazu geführt hast, dass du den Karren in
einen Graben lenktest.“
Libussa
seufzte. Vlasta war ein Hitzkopf wie Thetka, ihre Mutter. Erschöpft bemühte sie
sich um eine Erklärung: „Wir waren eines der letzten Völker, das an diesen
Traditionen festhielt. Die Leute aus dem Lande Rus haben sie bereits
aufgegeben, da sie von den Nordmännern beeinflusst werden. Über die Polanen
weiß ich nichts, doch bei den Mähren herrschen mittlerweile auch die Männer.
Wir leben auf keiner Insel, Vlasta. Die Berge um unser Land, sie grenzen uns
ab, aber können überquert werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns
dem Rest der Welt anpassen. Männer beherrschen die Kunst der Kriegsführung
besser, weil sie von Natur aus stärker sind. Wir gebären Kinder und brauchen
Schutz vor feindlichen Angriffen. Aus diesem Grund können Männer die Herrschaft
an sich reißen. Auch bei uns. Es hat keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen. Das
entzweit uns und macht uns zu einem leichten Opfer für andere Völker. Ich
wollte einen Mann finden, der verantwortungsvoll mit seiner Macht umgeht.“
„Und du
dachtest, das war eine gute, weise Lösung, Tante und einstige Fürstin?“, kam es
spöttisch aus dem Mund der Kriegerin. „Wie lange meinst du, wird dein geliebter
Bauer seine Macht halten können?“
Libussa
fröstelte plötzlich in der Frühlingssonne. „Er ist ein kluger Mann und hat mich
oft sehr geschickt beraten“, meinte sie und staunte, dass ihre Stimme dennoch
unsicherer klang als zuvor.
„Natürlich hat
er das“, erwiderte Vlasta unbeeindruckt. „Du warst sein Leben. Seit dem Moment,
da du ihn aus seinem Dorf geholt hast, auch wenn es dir vielleicht nicht
aufgefallen ist. Premysl ist wie ein treuer, tapferer Hofhund. Doch er wird
gegen Rudel von Wölfen kämpfen müssen, die deine Abdankung aus den Tiefen der
Wälder gelockt hat, weil sie Blut gerochen haben. In dem Augenblick, da du
unsere Tradition gebrochen und Premysl den Fürstenstab übergeben hast, da hast
du sein Todesurteil gefällt.“
Libussa musste
sich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. „Ich tat, was
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