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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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ich für richtig
hielt. Ich bin todkrank und kann mein Amt nicht weiter ausüben. Premysl schien
mir die beste Wahl. Scharka ist zart und empfindsam. Ich wollte ihr ein
friedliches Leben gönnen, anstatt ihr die Last eines Amtes aufzubürden, das sie
immer größeren Gefahren aussetzt.“
    „Ein
friedliches Leben unter der Herrschaft von Männern wie Gundolf!“, schnaubte
Vlasta.
    Libussa suchte
nach einer Erwiderung, doch dann musterte sie die große, vom Kämpfen gestählte
Gestalt, das stolze Gesicht und die breiten Schultern der Kriegerin. Auf einmal
verstand sie Vlastas verzweifelten Zorn. Scharka konnte unter der
Männerherrschaft leben, denn mit ihrem zarten, gefühlvollen Wesen entsprach sie
dem Bild einer schutzbedürftigen Frau. Mnatas bedingungslose Treue würde sie
vor allem Unheil bewahren. Doch welchen Platz gab es in Gundolfs Welt für eine
Frau wie Vlasta?
    Plötzlich
begriff Libussa, dass Vlasta bis zum bitteren Ende kämpfen würde, denn dazu war
sie bestimmt. Und ihr wurde klar, was sie dieser zornigen, tapferen Kriegerin
schuldig war. Wie von einer höheren Macht gelenkt, griff sie in den Beutel an ihrem
Gürtel.
    „Hier, Vlasta“,
sagte sie. „Nimm das Zeichen der Hohen Priesterin. Ich ernenne dich zu meiner
Nachfolgerin und bitte dich, Premysl zur Seite zu stehen. Wenn du selbst einen
Kampf führen musst, um die Rechte unseres Volkes zu wahren, dann wird das
Symbol der großen Sonnengöttin Mokosch dir helfen, Anhänger zu finden. Vergiss
die Kelten in den Wäldern nicht. Sie sind gute Bogenschützen. Als ich das
Ritual zelebrierte, um mich mit Premysl zu vereinen, da nannten sie mich ihre
Königin. Mache ihnen klar, dass du meine Nachfolgerin bist.“
    Vlastas
kräftige Hände umklammerten die Tonscheibe.
    „Ich danke dir,
Libussa. Bitte verzeihe meine harten Worte. Andere zu verstehen und Rücksicht
auf ihre Gefühle zu nehmen, das war nie meine starke Seite.“
    Libussa nickte.
„Lass mich jetzt gehen. Ich hoffe, dass ich meine Pflicht erfüllt habe, auch
wenn ich dich weder einweisen noch vor aller Augen ernennen kann. Die Schamanen
werden es an meiner Stelle tun, sobald sie diese Scheibe in deiner Hand sehen.“
    Einen kurzen
Augenblick spürte sie Vlastas Arme um ihren Leib, doch gleich darauf verschwand
die Kriegerin in den Tiefen des Waldes. Zum ersten Mal fühlte Libussa sich von
allen Sorgen befreit. Staunend begriff sie, dass sie nun ihre letzte Aufgabe
als Herrscherin erfüllt hatte.
     
    Zu Fuß erklomm sie den Berg,
atmete seinen frischen Duft von Wald, Gras und Blüten und lauschte dem Summen
der Insekten wie einer zarten Melodie. Sie näherte sich der Höhle, in der sie
die keltische Priesterin vermutete. Ihr Auftauchen löste bei der Frau kein
Staunen aus. Die Priesterin erhob sich zur Begrüßung, half Libussa beim
Auspacken, nahm die Gastgeschenke entgegen und wies ihr eine Hütte in der Nähe
der Höhle zu.
    „Ich wusste,
dass du kommen würdest, Herrin. Ich habe vorgesorgt. Die bescheidene Unterkunft
wird dir hoffentlich gefallen. Wo du Zuflucht suchen kannst, wenn es zu Ende
geht, ist dir bereits bekannt.“
    Libussa nickte
und war dankbar, als die Frau sie anschließend allein ließ. Hedwig untersuchte
mit misstrauischem Stirnrunzeln die Feuerstelle ihres neuen Heims, strich über
bereitgestellte Strohmatten und Decken. Offenbar hatten die Dorfbewohner aus
der Umgebung Gaben für die einstige Fürstin gebracht, doch die Wolldecken waren
mit Sicherheit von keltischer Hand gewebt, denn sie hatten das bekannte Muster
aus bunten Vierecken.
    Während die
Sächsin sich daranmachte, die Hütte wohnlich einzurichten, trat Libussa wieder
hinaus. Die Luft an diesem Berg schien ihre erschöpften Lebensgeister neu zu
wecken, und sie machte sich auf den Weg zum nördlichen Hang, wo sie bald das
Plätschern der Quelle vernahm. Sie lief leichtfüßig wie einst als junges
Mädchen, obwohl das Dickicht ihre Beine zerkratzte, und sprang mühelos über
Baumwurzeln und umgestürzte Stämme.
    Warum hatte sie
so lange versucht, diesen Anblick aus ihrem Gedächtnis zu tilgen? Es war nichts
weiter als Wasser, das frisch aus den Tiefen der Erde sprang. Veilchen blühten
um die Quelle herum und bildeten ein Muster auf dem Waldboden, dessen Anblick
mehr Freude schenkte als alle Stickereien auf Radegunds Gewändern.
    Libussa ließ
sich nieder. Jeder Schmerz war aus ihrem Körper verschwunden. Sie erinnerte
sich, wie selbstverständlich derartiges Wohlbefinden gewesen war, damals, bevor
die

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