Die Träume der Libussa (German Edition)
musst dich
entsprechend verhalten.“
Je mehr sie den Schlaf
herbeisehnte, desto hartnäckiger mied er sie, wie ein wildes Tier, das sich
nicht fangen ließ. Libussa streckte sich auf ihrer Bettstatt aus, froh, endlich
der lauten Feier entkommen zu sein und in der Stille ihrer Kammer zu liegen.
Wenn Premysl
jetzt bei ihr sein könnte, würde der Druck der letzten Tage schnell von ihr
abfallen. Wieder begannen die üblichen Gedanken sich in ihrem Kopf zu drehen
wie die Kreisel, mit denen sie als Kind gespielt hatte. Gelang es ihm nicht,
das Gebiet der Lemuzi unbemerkt zu verlassen, weil Staditz noch immer von Olgas
Kriegern bewacht wurde? Oder wollte er nicht die Verbindung mit einer Fürstin,
wie sie befürchtete? Unruhig wälzte sie sich auf den Rücken. Das Warten war
unerträglich geworden. Sie konnte Boten zu ihm schicken, um ihm mitzuteilen,
dass er immer noch willkommen war. Doch Olgas Krieger würden das vermutlich
mitbekommen. Wäre Premysl dann in Gefahr? Verwirrt setzte sie sich auf und rieb
ihre pochenden Schläfen. Bisher hatten meist ihr Fühlen und die Stimme der
Göttin in ihrem Inneren ihr Handeln bestimmt, doch langsam ahnte sie, in ihrer
Rolle als Fürstin würde sie auch lernen müssen, auf die klare, kalte Vernunft
zu hören, die in Premysls Denken vorherrschte.
Olga wollte
sicher keine Fehde herausfordern, denn alle anderen Stämme würden auf Seite der
Tschechen stehen. Auch Libussa konnte ohne Kroks Zustimmung keinen Kampf gegen
die Lemuzi beginnen, und Olga wusste das. Doch der Übergriff von Olgas Kriegern
auf Libussa neulich im Wald wäre womöglich ein ausreichender Grund für den
Stammesführer, seine Zustimmung zu geben, sobald er davon erfuhr.
Plötzlich fuhr
Libussa auf und musste sich beherrschen, um nicht aufzuschreien. Wie dumm sie
sich Olga gegenüber verhalten hatte, und das bereits zum zweiten Mal! Ein
junges, einfältiges Mädchen, das drohte, weil es zornig war. Doch auch Olga
hatte Angst, daher ihre geheuchelte Freundlichkeit.
Seufzend stand
Libussa auf und streifte sich erneut ihr Festgewand über. Olga war dafür
bekannt, dass sie gern lang und ausgelassen feierte. Vermutlich hatte sie sich
noch nicht in die Gästekammer zurückgezogen. Morgen, wenn alle fürstlichen
Familien aufbrachen, gäbe es kaum mehr Gelegenheit, allein mit ihr zu reden.
Heute Nacht war für Libussa die letzte Gelegenheit, das Unheil, das sie
angerichtet hatte, ein wenig zu mildern. Die Erkenntnis, wie wichtig das war,
verlieh ihr neue Lebenskraft. Sie verbarg ihr zerzaustes Haar unter dem
Kopfputz und machte sich auf den Weg in den Festsaal.
Die meisten der
Gäste hatten sich bereits zurückgezogen. Mägde mit erschöpften Gesichtern
räumten die Tafel ab. Libussa fragte Dana nach der Lemuzi-Fürstin und erfuhr,
dass Olga in den Hof hinausgegangen war.
„Der große,
fremde Krieger wollte mit ihr reden“, fügte Dana stirnrunzelnd hinzu. Die
Abneigung gegen den Nordmann war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Es kostete
Libussa Überwindung, in den dunklen Hof hinauszugehen, wo Tyr sich aufhalten
musste. Die Anwesenheit ihres Onkels und seiner Krieger beruhigte sie zwar,
doch tief in ihr war die Ahnung von etwas Dunklem, Bedrohlichem. Mit bloßen
Füßen schlich sie so leise wie möglich über die feuchte Erde.
„Jetzt ist das
zwitschernde Vögelchen also Fürstin geworden!“ Tyrs Stimme war deutlich zu
hören, denn der Hof schien bis auf die zwei Gestalten wie ausgestorben. Selbst
die Wachen mussten angetrunken eingenickt sein. Auch wenn ihre Erziehung es
verbot, konnte Libussa nicht umhin, weiter zu lauschen.
„Ich bin nun
schon einige Jahre in eurem Land und habe mir diese Sitte der Weiberherrschaft
angesehen", fuhr Tyr fort. „Ich gebe zu, einige von euch Fürstinnen machen
sich gar nicht schlecht. Du zum Beispiel, Herrin, weißt, worauf es ankommt und
wie du deinen Kopf durchsetzt. Fürstin Scharka verstand es, wie ein richtiger
Mann zu kämpfen. Aber jetzt haben sie ein Täubchen gewählt, das über einen
Schwarm von Raben herrschen soll.“
„Raben leben
nicht in Schwärmen, Tyr", erwiderte Olga, und vielleicht unterschätzt du
Libussa auch ein wenig. Denke daran, wie sie euch neulich im Wald zugesetzt hat.“
„Hör zu,
Herrin“, fuhr Tyr fort, ohne auf ihre Worte einzugehen. „Ich könnte deinen
Stamm zum größten und mächtigsten in diesem Land machen. Meine Männer sind
hervorragende Kämpfer und stehen hinter mir. Viele eurer Sitten hier erscheinen
mir weltfremd.
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