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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Libussa die beiden
Herrschaftsinsignien in die Höhe: den verzierten Bronzestab, der sie zur
Fürstin der Tschechen machte, und dazu das Zeichen der Hohen Priesterin, eine
Tonscheibe, die schon seit uralten Zeiten im Besitz der Tschechen war. Die
Scheibe zeigte einen Kreis mit eingeschriebenem Kreuz, das Symbol der großen
Sonnengöttin Mokosch.
    „Gehe ein ins
Reich der Ahnen, Tochter der Göttin und Nachfahrin Samos“, murmelte sie und
legte den Bronzestab langsam zu Boden. Mit der freien Hand nahm sie eine
brennende Fackel, die Bohumil ihr reichte, und warf sie auf das mit Stroh
unterlegte Gerüst. Flammen schossen empor und erhitzten ihr Gesicht. Nochmals
hielt sie die Tonscheibe der Sonne entgegen, und lauter Gesang hüllte sie ein,
während sie das letzte Gebet sprach, das Bohumil sie gelehrt hatte.
    Ein Leichnam
musste verbrennen, damit der Verstorbene befreit von seiner irdischen Hülle ins
Totenreich eingehen konnte. Dann sammelte man die Asche in einer Urne, um sie
bei den Ahnen beizusetzen. Libussa hatte oft über die Sitten der Christen
gestaunt, die ihre Toten in der Erde eingruben wie Hunde einen Knochen.
    Sie kehrte zu
den Gästen zurück. Nacheinander traten die fürstlichen Familien vor, um sie als
Hohe Priesterin und Nachfolgerin Scharkas anzuerkennen. Radka, seit dem Tod
ihrer Mutter die neue Lukaner-Fürstin zusammen mit ihrem Bruder Lecho, Slavonik
von den Kroaten mit seiner Mutter und Schwester, Hostivit vom Zlicany-Clan und
schließlich Olga von den Lemuzi mit ihren beiden Söhnen und Ludmilla.
Wenigstens war der Nordmann nicht dabei, denn seine Nähe hätte sie schwer
ertragen können.
    Olga senkte der
Tradition gemäß den Kopf. „Sei gesegnet, Tochter der Göttin“, murmelte sie. Als
sie Libussa wieder ansah, lächelte sie, doch ihr Blick war frostig. Die
Erinnerung an das letzte Gespräch in Zabrusany stieg in Libussa auf, und ihr
Magen verkrampfte sich. Doch dann wurde ihr klar, dass sie kein hilfloses
junges Mädchen mehr war. Ihre neue Stellung verlieh ihr nicht nur Pflichten,
sondern auch Macht.
    „Ich werde dich
bekriegen, wenn Premysl oder seiner Familie ein Leid geschieht“, hörte sie sich
flüstern und erschrak über ihre eigenen Worte. Olgas Gesicht erstarrte zu einer
hässlichen, zornigen Maske, bevor sie wortlos weiterging.
    Anschließend
zogen alle Versammelten zur Opferstelle. Dort musste Libussa vor der Säule mit
den Bildnissen der drei großen Götter Perun, Veles und Mokosch den Opfertieren
die Kehle durchschneiden. Obwohl es ihr immer verhasst gewesen war, zu töten,
erfüllte sie diese Aufgabe ohne Zögern. Die geopferten Schweine und Lämmer,
Geschenke an die Götter, erwartete im Totenreich ewiges Leben.
     Die Feier
wurde im großen Saal von Chrasten fortgesetzt. Nun saß Libussa am Kopfende, so
wie einst ihre Mutter, und war vielen neugierigen Blicken ausgesetzt. Slavonik
starrte sie unverwandt an und hob mehrfach seinen Krug zu ihren Ehren. Sie nahm
mit Besorgnis Thetkas steinerne Miene zur Kenntnis. Die Schwester hatte in den
letzten Tagen kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Nun dachte sie wohl, dass
Libussa ihr auch noch Slavonik wegnehmen wollte. Um deutlich zu machen, dass
dies nicht ihre Absicht war, warf Libussa dem Kroaten-Sohn einen kühlen Blick
zu, was ihn aber kaum beeindruckte. Vermutlich ahnte er, dass Onkel Krok einer
Verbindung zwischen dem ältesten Sohn des Kroaten-Clans und der neuen Hohen
Priesterin sicher nicht abgeneigt wäre.
    Sie rief sich in Erinnerung, dass
niemand sie zu einer solchen Hochzeit zwingen konnte, und nahm einen weiteren
Schluck Wein in der Hoffnung, so den Kopfschmerz zu betäuben. Beim Anblick der
Speisen auf dem Tisch zog ihr Magen sich zusammen, und es fiel ihr schwer, die
Augen offen zu halten, so sehr zwang die Erschöpfung sie nieder. Vielleicht
konnte sie die nächsten Tage allein in ihrer Kammer bleiben und weben. Das
hatte ihr immer Freude bereitet, eine der vielen Eigenarten, die ihre Mutter
nicht verstehen konnte. Sie wollte ein Gewand für Premysls Mutter vorbereiten,
zur Begrüßung, wenn er mit ihr hierher kam. Falls er überhaupt noch kommen
wollte, jetzt, da eine Fürstin aus ihr geworden war.
    Sie schloss die
Augen und versuchte, sich auf die wohltuenden Melodien der Flötenspieler zu
konzentrieren. Die Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn bald legte Krok
seine Hand auf ihren Arm. „Kümmere dich um die Gäste! Dein Benehmen ist
unschicklich. Von nun an wirst du immer im Mittelpunkt stehen und

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