Die Träume der Libussa (German Edition)
Bisher wart ihr geschützt hinter euren Bergen, doch bald ist es
damit vorbei, glaub mir. Alle Reiche in der Nachbarschaft dehnen sich immer
mehr aus. Ihr könnt überrannt werden wie Hasen von einer Horde wilder Stiere
oder stark genug sein, selbst zu Stieren zu werden. Und mit meiner Hilfe macht
der Stamm der Lemuzi den Anfang. Dann kannst du langsam die anderen
unterwerfen.“
„Ich habe
nicht die Absicht, irgendeine Fehde mit einem anderen Stamm zu beginnen. Wir
leben nicht schlecht mit unseren Sitten und brauchen keine Einmischung von
Fremden“, meinte Olga kühl.
„Warum haben
deine Söhne mich dann geholt? Weil ich hier nicht gebraucht werde? Ich weiß, du
warst nicht glücklich über die Wahl dieses Mädchens, und ich verstehe dich sehr
gut. Die Kleine hat den Kopf voller schöner Träume. Sie wird versuchen, dir
Vorschriften zu machen, wie du deine Bauern behandeln sollst. Dir mit ihrem
Onkel und seinen Kriegern drohen. Krok ist ein guter Kämpfer, doch auch er
versteht nicht, dass es in dieser Welt vor allem auf Macht und Reichtum
ankommt. Ich könnte deinen Clan zur königlichen Familie aller Behaimen machen.
Würde es dir nicht gefallen, die erste Frau in diesem Land zu sein, Fürstin
Olga?“
„Was erwartest
du als Gegenleistung, Tyr?“, fragte die Lemuzi-Fürstin ohne langes Zögern.
„Gib mir deine
Tochter.“
Fassungslos
dachte Libussa an die zarte, ängstliche Ludmilla und fröstelte. Sollte Olga
jetzt zustimmen, dann müsste sie auf der Stelle zu ihrem Onkel laufen, damit
das Mädchen Hilfe bekam. Doch was würde dann mit Premysl geschehen, wenn sie
die Lemuzi-Fürstin gegen sich aufbrachte? Mit tiefer Erleichterung hörte sie
Olgas zornige Antwort: „Jetzt ist es genug, Tyr! Ich weiß, was du willst.
Ludmilla, der nach unseren Sitten meine Nachfolge zusteht. Ich werfe dir mein
Kind nicht zum Fraß vor nur wegen ein paar schöner Versprechungen.“
„Wie du meinst
Herrin“, erwiderte der Nordmann gelassen. “Aber ich rate dir, noch mal über
mein Angebot nachzudenken.“
Dann entfernte
er sich langsam zu dem Gebäude, in dem die Krieger schliefen.
„Ich habe nicht
um deine Ratschläge gebeten, Tyr! Ich weiß selbst, was ich tue“, rief Olga ihm
wütend hinterher, was Libussa endgültig beruhigte. Wer den Zorn der
Lemuzi-Fürstin geweckt hatte, konnte keine Unterstützung mehr von ihr erwarten.
Olga zog sich ihren Umhang enger um die Schultern und sah noch eine Weile den
Sternenhimmel an. Libussa erkannte, dass ihre Gelegenheit gekommen war.
„Olga!“
Die
Lemuzi-Fürstin fuhr herum. Staunen malte sich auf ihrem Gesicht, gefolgt von
einem kurzen Moment des Widerwillens, bevor wieder das unnatürliche Lächeln
ihre Lippen verzerrte. „Wir dachten, du hättest dich schon schlafen gelegt,
Tochter der Göttin“, meinte sie spöttisch.
Libussa holte
Luft. Nun würde sie tatsächlich zwitschern müssen wie ein Vögelchen. „Das
wollte ich. Aber unser Zwist bedrückt mich. Nun, da ich Fürstin der Tschechen
bin, möchte ich Frieden mit dir schließen. Lass uns das Vergangene vergessen.
Wie du damals in Zabrusany sagtest, verstehe ich wenig vom Herrschen. Ich werde
es lernen müssen und wünsche mir deshalb, dass wir beide Freundschaft
schließen. Meine Mutter schätzte dich, Olga. Und ich weiß, dass sie eine kluge
Frau war.“
Olgas Gesicht
entspannte sich ein wenig. „Natürlich war sie das, Libussa. Und auch du wirst
es eines Tages sein.“
Sie kam einen
Schritt näher. „Viele angesehene Krieger umschwärmen dich jetzt, Mädchen. Da
hast du diesen Bauern aus Staditz doch sicher schon vergessen, nicht wahr?“
Libussa hörte
den neugierig bohrenden Unterton. Ihr Unbehagen nahm zu. Niemals hatte sie sich
vorstellen können, eines Tages derart heucheln zu müssen.
„Nun, ich weiß,
dass ich nicht mein Leben mit ihm verbringen werde“, begann sie. Olga sollte
besser nicht erfahren, wie wichtig ihr Premysl war, denn das hätte ihr ein
Gefühl grenzenloser Macht über die neue Hohe Priesterin geben können. „Aber
manchmal denke ich noch an ihn. Es wäre nicht schlecht, ihn eine Weile hier in
Chrasten zu haben. Ich meine, bis ich mich für einen dauerhaften Gefährten
entschieden habe.“
Olga nickte
verständnisvoll.
„Natürlich. Der
Bauer ist ein hübscher Junge. Und wenn wir uns gut verstehen und du mir keine
Schwierigkeiten machst, dann kann er zu dir kommen. Ich möchte nur nicht, dass
du selbst Leute losschickst, die sich in meinen Ländereien herumtreiben.
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