Die Träume der Libussa (German Edition)
aus.
„Eben das sagt
Lecho auch!“, rief das Mädchen erfreut. „Aber meine Mutter ist anderer Meinung.
Sie sagt, die Zeiten hätten sich geändert, und ist wütend, weil ich Milena
unterstütze. Sie will mir sogar weitere Treffen mit Lecho verbieten.“
Libussas
anschließendes Gespräch mit der Leitmeritzer-Fürstin verlief weniger angenehm.
Obwohl sie bemüht war, auf möglichst freundliche, aber unmissverständliche
Weise klar zu machen, dass entsprechend der alten Sitten ihres Volkes das Recht
auf Irinas und Milenas Seite lag, hatte sie nach der raschen Abreise der alten
Frau das Gefühl, auch diese Fürstin sei nun ihre heimliche Feindin geworden.
„Du bist
geduldiger und verständnisvoller als deine Mutter“, erklärte Kveta
anschließend, als ahne sie, dass Libussa Ermutigung brauchte. „Fürstin Scharka
hätte dasselbe Urteil gefällt wie du. Aber vermutlich wäre es ihr nie gelungen,
die schüchterne Irina zum Reden zu bringen, und so hätte sie die Wahrheit nie
erfahren.“ Ob Kveta wusste, welche Freude sie Libussa mit diesen Worten machte?
Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, sie könnte in irgendeiner Weise ihrer
angesehen Mutter das Wasser reichen. Doch es musste einen Grund geben, warum so
viele Leute zu ihr kamen. Sich mit den Sorgen anderer Menschen zu befassen war
eine willkommene Ablenkung von ihren eigenen.
Ihr Besuch bei
der keltischen Priesterin vor einigen Tagen hatte ihr kaum Erleichterung verschafft,
obgleich sich Libussa freute, den vertrauten Ort wieder zu sehen. Das
Plätschern der Quelle, wo die alte Keltin ihre Weissagungen machte, schien ihr
lieblicher als alle Melodien der Flötenspieler auf Chrasten. Sie ließ sich
neben der Priesterin am Eingang der Höhle nieder und erinnerte sich an ihren
Wunsch, dort ihr Leben verbringen zu können.
„Warum hast du
meinem Onkel geraten, mich zur Nachfolgerin meiner Mutter zu machen? Du
wolltest mich lehren, der großen Göttin zu dienen und in den Tiefen der
heiligen Quelle zu lesen. Das war mein Wunsch und meine Bestimmung“, sprach sie
aus, was sie schon lange quälte. Das spitze Gesicht der Keltin verriet keine
Gefühlsregung. Vorwürfe prallten an der Priesterin ab. Es war, als werfe man
kleine Kieselsteine gegen eine Felsmauer.
„Ich erfüllte
den Wunsch der Göttin, Kind", kam es gleichmütig zurück.
„Aber wie kann
die Göttin etwas wünschen, das völlig unsinnig ist? Ich bin nicht so stark, wie
meine Mutter es war. Thetka wäre die richtige Wahl gewesen. Sie versteht es,
sich durchzusetzen. Mir ist, als würde ich nur Menschen gegen mich aufbringen,
indem ich tue, was mir richtig scheint.“
Die Priesterin
lächelte, was Libussa noch mehr erzürnte.
„Siehst du,
Kind, eben das ist wohl der Wille der Göttin. Du bringst dein Volk dazu, nach
ihren Lehren zu leben. Thetka wäre es nur um die eigenen Wünsche gegangen. Doch
wir müssen uns alle einem höheren Willen beugen. Auch du.“
Libussa hob
abwehrend die Hände.
„Und ist es
denn der göttliche Wille, uns Menschen unglücklich zu machen? Wollen sie uns
zwingen, auf alles zu verzichten, das uns im Leben wichtig ist?“, hörte sie
sich rufen und erschrak. Niemals zuvor hatte sie es gewagt, ihre Stimme gegen
die weise Frau zu erheben. Doch die Keltin wurde nicht zornig. Plötzlich erinnerte
sie Libussa an ein Orakel. Sie war undurchschaubar wie die Tiefen der Quelle,
in die sie regelmäßig blickte. Nichts an ihr schien menschlich.
„Den Dienst an
der Göttin erfüllst du auch als Hohe Priesterin deines Volkes. Worauf also
musst du verzichten, Libussa?“, wollte die Priesterin nun wissen. Libussa
seufzte. Die Frage schien ihr überflüssig, denn sie hatte der Keltin bereits
von Premysl erzählt.
„Es ist dieser
junge Bauern“, erklärte sie trotzdem. „Ich hatte eine Abmachung mit ihm
getroffen. Er sollte zu mir kommen, doch dann wurde ich zur Hohen Priesterin
ernannt. Jetzt warte ich auf ihn. Ich habe alles getan, um seine Ankunft zu
ermöglichen. Aber er ist bis jetzt nicht in Chrasten erschienen.“
Die Priesterin
lächelte nachsichtig. „Die Jugend vermag nicht zu warten“, lautete ihr Rat.
„Sie lebt noch nicht lange in dieser Welt und deshalb erscheint ihr jeder Tag
wie eine Ewigkeit. Aber man kann sein Schicksal nicht erzwingen, nur manchmal
in eine Richtung lenken. Dazu braucht es Geduld. Warte auf den Augenblick, da
die Göttin dir einen Weg zeigt.“
Früher hätte
Libussa solche Worte als weise empfunden, doch jetzt drängte es sie
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