Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
nicht.
Dann antwortete ihr die eigene Stimme.
Magie existiert noch immer. Und ich weiß, wo ich sie finden kann!
Der Gesang der Meyrkats durchströmte noch immer ihr Wesen, und sie klammerte sich daran, als festen Punkt, von dem aus sie ihre Herausforderung in Angriff nehmen konnte. Langsam benutzte sie seine nicht nachlassende Kraft, um den Traum zu speisen, indem sie jetzt ihre eigene Stimme hinzufügte und die Macht von den entlegenen, unbekannten Regionen ihres Verstandes aus kontrollierte. Die kalte Übelkeit ließ nach, und sie nutzte ihren Vorteil, spürte, wie der ursprüngliche Traum erneut Gestalt annahm, an Gesundheit und Kraft gewann, bis ihre schwache Hilfe nicht mehr benötigt wurde. Der Heilungsprozess war jetzt unaufhaltsam.
Bitte meinen Bruder, sich zu bewegen.
Denn das Jahr ist um.
Die zusätzlichen Worte waren verschwunden, und mit ihnen alle böse Absicht. Gemma nahm die Hand von der Oberfläche des Steins, stolperte augenblicklich und stürzte zu Boden. Ihre Beine hatten ihr den Dienst versagt, und sie saß im Sand und schaute benommen hinauf zum Stein. Der Gesang ringsum ging weiter, kraftvoll, mit freudigen Untertönen, denn die Meyrkats hatten etwas gesehen, was Gemma nicht hatte sehen können. Der Schaukelstein hatte sich in Bewegung gesetzt.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verwandelten den oberen Teil des Steins in ein rotgoldenes Leuchtzeichen, als er sich sacht in seine alternative Stellung neigte. Ein leises Klicken, dann das vertraute unterirdische Grollen.
Gemma erstarrte. Halb erwartete sie, die blauen Flammen und die zornige Bewegung würden zurückkehren. Sie wusste nicht, wie lange sie dasaß und den Stein ansah, doch nichts geschah, und nach einer Weile merkte sie, wie still es war. Der Gesang war vorbei, sein Zweck erfüllt. Die Meyrkats scharten sich zaghaft um sie und betrachteten ihre Retterin aufmerksam aus ihren kleinen, strahlenden Augen, während die Sonne am kürzesten Tag des Jahres endgültig unterging.
47 . KAPITEL
Arden starrte in das fliegende Wasser des Wasserfalls, hypnotisiert von der unablässigen Bewegung und dem Rätsel seines Verschwindens. Als er schließlich wieder zu Sinnen kam, war der Regenbogen längst verschwunden und seine Kleider triefnass. Zitternd sah er kurz nach links, wo - hinter den Bergen im Westen - die Sonne unterging. Er hatte die Quelle des Flusses gefunden, doch der Lösung des Problems des Tals war er keinen Schritt nähergekommen. Und jetzt sah er sich einem weiteren Rätsel gegenüber.
Er warf erneut einen Blick auf die Schlucht und den Damm - der im schwächer werdenden Licht jetzt kaum noch zu erkennen war -, dann blickte er zurück in das Tal, das er gerade hinaufgestiegen war. Lark stand geduldig ein Stück entfernt, und Arden wollte gerade zu seinem Pferd zurückkehren und sein Nachtlager aufschlagen, als er eine erneute Lichtexplosion bemerkte. Die Kraft und Häufigkeit der blauen Blitze am Damm hatten dramatisch zugenommen. Arden starrte sie an und fragte sich, was sich da wohl ankündigte. Das Metall schien zu brennen, Flammen und Funken erhellten die Dunkelheit in einem beeindruckenden Spektakel, dass ihn an seine Begegnung mit dem Monolithen erinnerte. Er fragte sich, wie es Gemma wohl auf ihrem waghalsigen Flug ergangen sein mochte. Wo bist du jetzt? fragte er über unzählige Meilen hinweg. Doch zu weiteren Spekulationen blieb ihm keine Zeit - der Anblick vor seinen Augen verlangte seine ganze Aufmerksamkeit.
Als das blaue Feuer seinen Höhepunkt erreicht hatte, krümmte sich die Oberkante des Damms, der unter einer unvorstellbaren Kraft erzitterte, in einem unglaublichen Bogen nach oben. Dann explodierte der Damm mit einem Krachen, als würde der Himmel in Stücke gerissen, und riesige Metallbrocken wurden in sämtliche Himmelsrichtungen geschleudert. Einige krachten gegen den nahen Felsen, andere verschwanden in der alles verschlingenden Gischt, und ein paar schossen in die Höhe, wo sie sich träge um ihre Achse drehten, bevor sie auf die Erde zurückfielen. Ein paar kleinere Brocken gingen in Ardens Nähe nieder, doch er suchte keinen Schutz, sondern blieb wie angewurzelt stehen.
Der Fluss nahm die Felsspalte wieder in Besitz und schoss wie zur Feier seiner wiedererlangten Freiheit hinab und riss die letzten Überreste des Metalls mit sich, die ihn zuvor so brutal eingedämmt hatten. Weit unterhalb der Erdoberfläche wurde das beharrliche, mechanische Pulsieren schwächer und hörte dann ganz
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