Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
meinte er und hatte Mühe, seine Stimme zu beherrschen. »Und sehr kostspielig.« Er griff in seine Tasche und zog ein zweites Fläschchen hervor. »Außerdem vollkommen nutzlos. Für Ziv und seine Kollegen wäre es überhaupt kein Problem, Sie zu zwingen, das zu schlucken. Selbst wenn Sie es nicht täten, gäbe es noch andere, weniger angenehme Methoden. Ich hatte gehofft, Sie wären vernünftiger.« Gemma warf einen Blick auf den ekelhaft grinsenden Ziv.
»Nun?« hakte Mendle nach.
Gemma streckte langsam die Hand aus und nahm die Droge. Ich schaffe es, redete sie sich ein. Ich habe es schon einmal geschafft, und ich kann es wieder. Sie wusste nicht recht, ob sie sich glauben sollte, aber dann holte sie tief Luft und nahm einen kleinen Schluck der Flüssigkeit.
»Alles«, befahl Mendle.
Gemma gehorchte. Das Lächeln des blassen Mannes reichte nicht bis zu seinen kalten, blauen Augen. »Wisch den Dreck weg«, befahl er Ziv, dann wandte er sich wieder an Gemma.
»Noch ein letztes, meine Liebe. Bitte versuchen Sie nicht zu fliehen. Ziv hat die Aufgabe, Sie zu beschützen, und es wäre für euch beide ein großes Unglück, wenn Sie nicht auf der Versteigerung erscheinen würden.«
Ziv stand vornübergebeugt, den Lappen in der Hand. In seinen Augen spielgelten sich Bosheit und Verachtung.
»Um Mitternacht fangen wir an«, fügte Mendle hinzu. Sie brauchen also nicht lange zu warten. Sollten Sie etwas zu trinken oder zu essen wünschen, wird Ziv das für Sie arrangieren. Auf Wiedersehen, meine Liebe. Bis heute Abend.«
Gemma sah ihm nach, als er das Zimmer verließ. Was hat er gegen Ziv und die anderen in der Hand? Sie könnten ihn doch in Sekundenschnelle vernichten. Sie sah wieder zu Ziv hinüber und verwarf die Idee, an das Gute in ihm zu appellieren. Er stand auf und hielt Glasscherben in seiner massigen Hand.
»Wenn du mir Ärger machst, breche ich dir jeden einzelnen Knochen im Leib«, versprach er. »Und das ist noch längst nicht alles.« Er ging ohne ein weiteres Wort, und Gemma hörte, wie die Riegel wieder vorgeschoben wurden.
Ihre dringendste Sorge war es, die Auswirkungen der Droge auf ihren Körper im Blick zu behalten. Bis jetzt schien sich nichts verändert zu haben.
Wieviel Zeit bleibt mir noch? fragte sie sich.
Arden begriff es nicht. Die Pferde waren noch da. Gemma hatte kein Geld, ein anderes zu mieten oder zu kaufen, und die typische Pferdediebin war sie sicher auch nicht. Aber selbst ihr unsinniges Verlangen, nach Süden zu kommen, würde doch bestimmt davor Halt machen, zu Fuß weiterzureisen. Verdammtes Weib! fluchte Arden im stillen. Wieso ausgerechnet jetzt? Wo ich so wenig Zeit habe?
Er brach auf, um neue und alte Bekannte aufzusuchen. Vielleicht würden sie noch einmal helfen.
Gemma betrachtete das Zimmer wie durch einen Schleier. Zeit hatte längst jede Bedeutung verloren. Jeglicher Wille war aus ihrem Körper gewichen, und die Augen ließen sich nicht mehr zentrieren. Ein Mann in Weiß kam und erteilte Anweisungen, wieder und wieder. Gemma begriff kein Wort, doch nach einer Weile schien er zufrieden und ging. Kurz davor schnippte er mit den Fingern vor ihrem Gesicht. Sofort war sie wieder wach, und sie konnte wieder richtig sehen, doch was er ihr gerade gesagt hatte, wusste sie nicht mehr.
Ziv kam mit einem Tablett voll Essen zurück. Er stellte es auf dem Schreibtisch ab und vergewisserte sich mit einem kurzen Blick auf Gemma, dass sie jetzt ruhig war. Offenbar hatte die Droge gewirkt.
»Iss, wenn du willst«, meinte er. Seine Stimme verriet, dass es ihm völlig gleich war, so oder so. Er ging und verriegelte aufs neue die Tür.
Gemma hatte keinen Appetit, griff aber nach dem Rotwein, der neben den Tellern stand. Sie nippte daran und überlegte, ob das in Verbindung mit dem Drachenblumensamen klug war. In ihrem Kopf brach ein Streit darüber aus, doch der Rat, den sie schließlich befolgte, war der einfachste und praktischste. Ein Glas Wein wird wohl keinen großen Unterschied machen. Vielleicht verwässert es die Droge sogar. Außerdem hatte sie den ganzen Tag noch nichts getrunken. Sie betrachtete die dunkle Flüssigkeit. Rot gefällt dir, was, Mendle, überlegte sie. Oder ist es vielleicht die Lieblingsfarbe eines deiner Kunden ? Trotz ihrer Lage musste sie schmunzeln und trank. Aus dem gleichen praktischen Grund verspeiste sie auch ihre Mahlzeit. Sie kaute mechanisch, ohne etwas zu schmecken.
Die ganze Zeit über analysierte sie die Veränderungen in ihrem Innern.
Weitere Kostenlose Bücher