Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
flüsterte ihm etwas zu.
»Ein Rotschopf, Boss.«
»Das sehe ich. Danke, Ziv.« Die ruhige Stimme war voller Abscheu. Dann hatte er offenbar einen Entschluss gefasst und sagte: »Bringt sie her.« Er drehte ab, und seine Posten kamen auf sie zu.
»Wohin bringen Sie mich?« fragte Gemma voller Panik. Ihre Stimme war plötzlich schrill vor Angst. »Das dürfen Sie nicht.«
Der kleine Mann drehte sich wieder um.
»Ganz im Gegenteil«, meinte er mit einem frostigen Grinsen. »Hier kann ich tun, was mir beliebt.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging. Gemma gab jeden Gedanken an Widerstand auf, als die beiden stämmigen Männer sie an den Armen packten und festhielten. Sie hätten sie wie einen Zweig zerbrechen können.
Man brachte sie in eines der gesichtslosen Häuser und führte sie in einen Raum im ersten Stock. Er war reich verziert mit Seidentüchern über der Holzvertäfelung und einem roten Teppich. Der Raum enthielt ein großes Himmelbett mit Baldachin und Spitzengardinen, einen Schreibtisch mit Hocker, dazu zwei bequeme Sessel. Vor dem Fenster waren Gitter.
Ihre Entführer drehten sich um und wollten gehen.
»Wartet!« rief sie. »Was wollt ihr von mir?« Doch der Blasse war bereits gegangen, und seine Gefolgsleute grinsten bloß. Die Tür wurde geschlossen, und als Gemma hörte, wie die Riegel vorgeschoben wurden, wünschte sie, dieser Tag wäre nie angebrochen.
15 . KAPITEL
Nach ungefähr einer Stunde in dem stillen Haus gab Gemma die Hoffnung auf, ihre Entführer könnten jeden Augenblick zurückkehren. Gegen die Tür zu hämmern oder aus dem Fenster zu schreien würde ihr in dieser menschenverlassenen Gegend sicher nichts nützen, daher untersuchte sie statt dessen ihre Umgebung. Seit ihrer Kindheit hatte sie solch großartige Möbel nicht mehr gesehen, doch das überall vorherrschende Rot hatte etwas Krankhaftes. Offensichtlich lebte hier niemand, und doch war der Raum nach einem ganz speziellen Geschmack entworfen. Vieles ließ sich im Notfall als Waffe benutzen - eine Vase, der Hocker -, doch für Gemma unterstrich dies bloß, wie sicher sich ihre Wärter offenkundig fühlten. Als sie mit ihrer Untersuchung fertig war, tat sie das einzige, was ihr blieb. Sie setzte sich hin und wartete.
Als Arden am Spätnachmittag in das Gasthaus zurückkehrte, war seine Stimmung eine Mischung aus Entschlossenheit und zaghafter Vorfreude. Endlich hatten seine Bemühungen gefruchtet! Er rannte die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend, und platzte ins Zimmer, um Gemma die freudige Nachricht mitzuteilen.
Als er sah, dass sie nicht da war, dachte er sofort, sie müsse im Gasthaus sitzen und sich mit ihren neuen Freunden unterhalten. Nachdem er nachgesehen hatte, verwandelte sich seine Stimmung jedoch in ein Gemisch aus Angst und Wut, denn man teilte ihm mit, dass Gemma oft alleine ausging. Die Zimmermädchen hatten daran nichts Schlimmes gefunden, meinten jedoch, dass sie noch nie so lange fortgeblieben wäre. Niemand hatte eine Ahnung, wo sie steckte. Arden glaubte es zu wissen.
»Zieh das an.« Gemma bekam eine Auswahl dünner und knapper Kleider in unterschiedlichen Rottönen in den Schoß geworfen. Ziv hieß der muskelbepackte Kerl, der sie ihr zugeworfen hatte. »Sieh zu, dass du das Zeug anhast, wenn Mendle aufkreuzt«, fügte er hinzu. »Der Boss mag es nicht, wenn man ihm nicht gehorcht.« Er zog sich zurück und verriegelte erneut die Tür.
Gemma betrachtete die Kleider angeekelt. Sie waren aus Seide und feiner als alles, was sie je gesehen hatte, aber die kurze, knappe Bluse und die feine Unterwäsche konnte ihre Blöße kaum verdecken. Ihr fröstelte. Sie musste daran denken, was Arden ihr über die Stadt erzählt hatte, und erschrak bei der Vorstellung, was die neueste Wendung der Geschehnisse für sie bedeuten konnte.
Widerstrebend zog sie sich um. Das Gefühl von Seide auf der Haut gefiel ihr, und sie hasste sich deswegen. Sie fühlte sich unwohl und hatte Angst. Und jetzt? fragte sie sich.
Gemma zuckte zusammen, als erneut der Riegel zurückgeschoben wurde. Sie stand auf und war innerlich gefasst. Notfalls war sie sogar bereit zu kämpfen. Herein kam Mendle, immer noch in Weiß. Er hatte eine kleine schwarze Tasche dabei, die er auf den Hocker stellte. Ziv stand gleich neben der Tür Wache.
»Ich bin froh, dass Sie sich entschlossen haben, mitzuspielen«, meinte Mendle. Seine Stimme klang ruhig. Er sah sie wohlgefällig aus vergrößerten Augen an.
»Was wollen Sie?«
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