Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
den Blick zermürbend auf ihr Gesicht geheftet.
»Wo ist die blaue Wand?«
»Weit drüben im Westen. Wo sich nur wenige meiner Brüder hintrauen.«
»Und dahinter?«
»Eine andere Welt. Die Welt, die uns zerstören wird!« Er verfiel wieder in seinen fanatischen Tonfall. »Wir müssen gegen sie marschieren. Sie angreifen!«
»Wie ...«, setzte Gemma an, aber er schnitt ihr das Wort ab.
»Die Welt bricht auseinander. Die Götter haben es uns gezeigt, und nun verlangen sie, dass wir angreifen. Die Welt bricht auseinander!« wiederholte er dramatisch.
»Wie bei Der Zer- ... bei Der Einebnung?« schlug Gemma vor.
»Nein! Diesmal ist es endgültig. Die Erde ist wahnsinnig geworden.«
»Gibt es Magie?« fragte sie leise.
Der Mann lachte auf. »Die Magie ist tot. Sie kann uns nicht retten. Das können nur die Götter.« Er wartete und musterte Gemma eingehend. »Treten Sie unserer Sekte bei«, verlangte er. »Helfen Sie uns. Beten Sie. Wir brauchen intelligente junge Männer wie Sie. Treten Sie uns bei!« Er streckte die Hände aus, als wollte er ihre Handgelenke ergreifen. Gemma zog sie instinktiv zurück.
»Nein!« rief sie, dann machte sie kehrt und lief zurück auf den Platz. Eine Zeitlang mischte sie sich unter die Menge, ließ die Buntheit und den Lärm über sich hinwegspülen, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Nach einer Weile kam sie wieder zu Sinnen und eilte zurück in das Gasthaus. Arden hatte im Zimmer auf sie gewartet und sprang auf, als sie hereinkam. Seine aufgestaute Energie entlud sich.
»War das nicht großartig!« rief er. »Diese Gänse! Ich konnte es kaum glauben. Wo hast du gesteckt?«
Gemma fiel ihm in die ausgebreiteten Arme, und sie drückten sich fest.
»Das fragst du mich immer«, erwiderte sie. »Ich wurde in dem Gedränge aufgehalten.
20. KAPITEL
Ihre Umarmung schien sich dem Ende nähern zu müssen, als Arden Gemma wieder an sich zog und sie fest auf den Mund küsste. Seine Heftigkeit überraschte sie, und sie rang nach Atem, als sie sich schließlich wieder trennten.
»Ich hab' gewonnen!« meinte er. »Kaum zu fassen!«
Gemma musste lächeln, als sie die jugendliche Freude in seinem Gesicht erblickte. Dann lachte sie laut los.
»Was ist daran so komisch?« wollte er wissen, obwohl er selber lachen musste.
»Du hast den ganzen Mund voller Stiefelwichse«, antwortete sie.
Arden leckte sich die Lippen, wischte sie sich dann am Ärmel ab.
»Ich dachte schon, dass du seltsam schmeckst«, meinte er.
Sie mussten wieder lachen, und dann, als sie sich ansahen, wurden ihre Gesichter allmählich ernst. Sie spürten beide die gegenseitige Zuneigung, die zwischen ihnen entstand, und hatten das Gefühl, dass mehr von ihnen erwartet wurde. Doch sie fanden beide nicht die richtigen Worte und hatten außerdem andere Dinge im Kopf. So vertrösteten sie sich mit Blicken auf die Zukunft, und schließlich brach Gemma den Bann, indem sie etwas sagte.
»Und was jetzt?«
»Jetzt wird gefeiert!« rief Arden und warf die Arme in die Luft.
»Nein. Ich meine die Verhandlung.«
»Die Sache ist entschieden«, antwortete er ausgelassen. »In zwei Tagen geht es los. Unglaublich! Normalerweise dauert es bis zu einem Monat, bis derartige Dinge vor Gericht kommen. Die Götter müssen uns günstig gesonnen sein.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Götter«, versuchte sie, ihn aufzuziehen.
»Wenn sie mir dabei helfen können, das Tal zu retten, dann glaube ich auch an sie«, antwortete er unbeeindruckt. Mit einem Blick an die Decke fügte er hinzu: »Habt ihr mich gehört?«
Lachend meinte Gemma: »Du blickst in die falsche Richtung.«
Einen Augenblick lang machte Arden ein verwirrtes Gesicht, dann sah er, was sie meinte.
»Natürlich, der Weltgeist«, sagte er und blickte auf seine Füße. »Das gilt auch für dich«, meinte er und zeigte mit finsterer Miene auf den Boden.
Die Respektlosigkeit machte Gemma nichts aus, trotzdem hatte sie etwas mit ihm zu besprechen.
»Arden«, begann sie zögernd, »Diese Gänse ...«
»Das war unglaublich«, meinte er aufgeregt. »Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können - wie sie genau in Richtung Tal gezeigt haben! So ein Glück!«
»Vielleicht war es nicht nur Glück«, sagte Gemma ruhig.
Arden runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?« fragte er und hob verteidigend die Hände, bevor sie Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern. »Erzähl mir jetzt nicht, es sei Magie gewesen. Demnächst siehst du noch Inseln
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