Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
verschwinden!« Er grinste. Gemma blieben die Worte im Hals stecken.
»Nun?« wollte er wissen.
»Wahrscheinlich war es ihre ganz normale Zugroute«, sagte sie nach einer Pause. »Die Stadt ist bestimmt ein Orientierungspunkt, nach dem sie sich richten.«
»Wie auch immer«, erwiderte Arden. »Ich bin ihnen jedenfalls ungeheuer dankbar.« Seine Erregung war immer noch deutlich sichtbar. »Mir wäre es allerdings lieber gewesen, ich hätte dich nicht in all den Ärger hineingezogen. Wir hätten ausgehen und richtig feiern können.«
»Ich kann so ausgehen, wie ich bin«, meinte Gemma. Er hatte ihre lahme Erklärung für die Gänse akzeptiert, und sie versagte sich alle Hoffnung auf ein ernsthaftes Gespräch. »Außerdem hast du noch nicht gewonnen. Die Hauptverhandlung kommt noch.«
»Ich weiß«, tat er ihre Worte ab. »Aber ich hatte niemals erwartet, überhaupt so weit zu kommen. Darf ich meinen kleinen Erfolg nicht auskosten?« Es klang so vorwurfsvoll, dass Gemma nicht anders konnte, sie musste lächeln.
»Hast du überhaupt noch Geld?« wollte sie wissen, »nachdem du mich die ganze Zeit ausgehalten hast?«
»Gute Frage«, meinte er. »Vielleicht sollte ich dich doch noch verkaufen.«
Gemma zuckte zusammen, als sie das hörte, doch er war viel zu aufgeregt, um es zu bemerken. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte: »Das hat schon einmal jemand versucht. Und sieh dir an, was mit ihm geschehen ist!« Betroffen nahm Arden sie wieder in die Arme.
»Tut mir leid, Gemma«, sagte er leise. »Entschuldige.«
Nach einer Weile sagte sie: »Schon gut. Lass uns losziehen und feiern.«
Sie brauchten nicht weit zu gehen. Sie brauchten auch nicht viel Geld. Die Nachricht von Ardens Auftritt hatte sich in der Stadt herumgesprochen, und als sie hinunter in den Ausschank gingen, warteten schon mehrere Gratulanten auf ihn. Getränke flossen in Strömen, und Arden wurde immer wieder aufgefordert, die Wunder das Tales zu beschreiben. Als Gemma dazu stieß, nachdem sie ihre Verkleidung wieder in Ordnung gebracht hatte, war die Feier bereits in vollem Gang, und sie mischte sich gutgelaunt unter die Leute, obwohl sie nur wenig trank. In Gedanken war sie damit beschäftigt, die Ereignisse des Vormittags noch einmal durchzuspielen, und sie brauchte einen klaren Kopf, um sämtliche Konsequenzen zu überdenken.
Hatte sie tatsächlich den Flug der Gänse beeinflusst? In dem Augenblick hatte sie es geglaubt, doch jetzt schien es immer unwahrscheinlicher. Und trotzdem.
Sie versuchte, sich die genaue Abfolge der Ereignisse in Erinnerung zu rufen. In der fürchterlichen Stille nach Ardens Ansprache hatte sie den Kopf gehoben, alarmiert vom Ruf der Vögel. Als sie die eindrucksvolle Formation am Himmel gesehen hatte, war sie von einem fremden Wissen erfüllt worden und hatte den Zweck des Fluges begriffen. Dann kam ihr die Idee, wenn die Vögel doch die Richtung ändern und zum Tal fliegen könnten, vielleicht würden die abergläubischen Einwohner Great Newports das als Omen verstehen. Der Gedanke war ihr gerade gekommen, als bereits die Phalanx auseinanderbrach. Gemma hatte die Verwirrung und die widerstreitenden Gefühle gespürt. Dann, in einem Vorgang jenseits allen Denkens, jenseits ihres Bewusstseins, hatte sie plötzlich die Führung der Gänse übernommen und ihnen ein neues Ziel gegeben. Nur dass es jetzt ihr Ziel war.
Als die Pfeilspitze sich erneut gebildet hatte, spürte sie, wie die Gedanken der Gänse sich lösten, und sie wieder die Richtung am Himmel angaben. Wie Gemma es vorhergesehen hatte, verstand die Menge es als Zeichen. Danach brauchte sie nicht mehr einzugreifen.
Hab' ich das tatsächlich gesagt? fragte sie sich wieder. Oder spielt mir meine Erinnerung einen Streich? Vielleicht war es nur ein Zufall, vermischt mit Wunschdenken. Und trotzdem ...
Die Verbindung zu den Vögeln hatte so echt gewirkt, die vollkommene Fremdheit ihres Vogelverstandes war irgendwie ein Beweis dafür, dass sie sich die ganze Geschichte nicht bloß ausgedacht hatte. Es ist, als dächten sie alle gemeinsam. Diese Vorstellung war Gemma vertraut, sie wusste nur nicht, wohin damit.
Wo die Gänse jetzt wohl sind? dachte sie und erschauderte schuldbewusst. Sie wurde nachdenklich. Vielleicht müssen sie durch die Wüste. Gemma hoffte inbrünstig, dass die natürlichen Instinkte wieder Oberhand gewannen, bevor ihnen etwas zustoßen konnte. Dann fiel ihr ein, dass ihr Schuldgefühl ein Beweis dafür war, dass sie tief in ihrem
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