Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
die Fremde an, die ein paar Schritte entfernt stehenblieb. Sie hatte ein hübsches, wenn auch von Sorgen zerfurchtes Gesicht, ihre Arme waren dünn.
»Arden! Bist du es wirklich!« sagte sie fassungslos. »Wir dachten, du würdest nicht mehr zurückkommen.«
Gemma sah, wie Arden bei ihren Worten zusammenzuckte. Die Hoffnung im Gesicht der Frau erstarb, als sie ihn ansah, erst wich sie Schmerz, dann Mitleid. Sie kam einen Schritt näher.
»Arden?« Ihre Stimme klang sanft, tröstlich.
»Ich habe euch enttäuscht.« Seine Worte klangen barsch, doch seine Stimme stockte. »Es tut mir leid.«
»Lass nur ...«, begann sie, dann schaute sie hoch zu Gemma, als sähe sie sie zum erstenmal.
Als Arden sich umdrehte, merkte Gemma, dass seine Erinnerung zurückgekehrt war und mit ihr der Schmerz über sein Versagen.
»Das ist Mallory«, erklärte er.
Mallory führte sie zu ihrem Haus. Das geheimnisvolle gemeinsame Wissen, das zumindest in dieser Familie noch funktionierte, hatte ihren Mann und zwei Söhne bereits dorthin gerufen. Nach einer lauten Begrüßung, die aufgrund der sichtlichen Sorge der Eltern ein schnelles Ende fand, kümmerten sich die Jungen um die Pferde und ließen die Besucher mit Mallory und Kragen allein.
Arden stellte ihnen Gemma vor, und sie gingen nach hinten in die Küche. Arden nahm mit versteinerter Miene Platz, dann holte er tief Luft und sagte: »Ich muss dich enttäuschen, Kragen. Ich muss euch alle enttäuschen.«
»Du hast getan, was du konntest«, warf Mallory ein. Auf dem Weg hinunter zur Farm hatte sie einen kurzen Bericht von der Reise nach Newport gehört.
»Aber es war nicht genug!« fuhr Arden sie heftig an. Mallory zuckte zusammen.
»Es war eine vage Hoffnung«, meinte Kragen ruhig. »Das haben wir alle gewusst. Wenn du es nicht schaffst, dann niemand. Du darfst dir keinen Vorwurf machen.«
»Das tue ich aber«, erwiderte Arden bitter. »Ohne Gemmas Hilfe wäre ich nicht einmal so weit gekommen.«
Das Eingeständnis überraschte Gemma dermaßen, dass sie vergaß, was sie hatte sagen wollen. Sie konnte nur mit den Achseln zucken, als der Farmer und seine Frau sie ansahen.
»Offensichtlich hast du auch eine Geschichte zu erzählen«, meinte Mallory.
»Das ist nicht wichtig«, entgegnete Gemma. »Was zählt ist das Tal. Arden hat mir so viel über euch alle erzählt ...«
»Fühlst du dich hier wie zu Hause?« fragte Mallory plötzlich.
»Ja«, antwortete Gemma ohne Zögern - ohne zu wissen, dass die Frage eine tiefere Bedeutung hatte. Kragen und seine Frau sahen sich an.
»Die meisten Fremden tun das nicht«, meinte der Farmer. »Du und Arden, ihr habt eine Menge gemeinsam.«
Gemma und Arden sahen sich an. Ein paar Augenblicke lang schwiegen sie, dann mussten sie unter den Blicken ihrer amüsierten Gastgeber lauthals lachen.
»Seit wir uns getroffen haben, sind wir praktisch in nichts einer Meinung!« erklärte Arden.
»Vielleicht bringt euch dann das Tal wieder zu Verstand«, entgegnete Mallory.
»Du hattest schon immer eine seltsame Sicht der Dinge«, erwiderte er und musterte sie neugierig. Dann wandte er sich an Kragen, dessen Gesicht wieder ernst geworden war. »Wir stehen die Dinge hier?«
»Ziemlich schlecht. Seit Caleys Tod beim letzten Einbruch sind wir mit den Brunnen nicht mehr viel weiter gekommen. Je tiefer wir graben, desto schwieriger wird es. Darüber hinaus waren sie alle trocken, wie sich herausgestellt hat.«
»Und wie steht es mit dem Flusslauf im Osten?«
»Schlecht. Wir haben ihn ein wenig nutzen können, aber es hat einfach nicht gereicht.« Kragen klang müde. »Außerdem ist auch er vor ein paar Tagen ausgetrocknet.«
»Ist sonst noch jemand weggezogen?«
»Drei oder vier Familien«, meinte Mallory. »Wir haben nichts mehr von ihnen gehört. Und die Alten sterben langsam aus.« Sie schwieg. »Alida hatte vor ein paar Tagen eine Totgeburt.«
Arden wirkte entsetzt. Offenbar war so etwas im Tal früher völlig ausgeschlossen gewesen.
»Einige der kleinen Kinder sind krank«, fuhr Mallory fort. »Sie bekommen einfach nicht genug zu essen, um groß und stark zu werden, und sie haben keine Abwehrkräfte gegen Krankheiten.«
»Wir sind alle sehr empfindlich geworden«, stellte Kragen nüchtern fest.
In die darauffolgende Stille hinein stellte Gemma eine Frage, die ihr schon lange auf dem Herzen gelegen hatte.
»Verfügt ihr immer noch über das gemeinsame Wissen?« fragte sie leise.
»Ja, aber es ist träger geworden«, berichtete Kragen.
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