Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos

versuchen, einen Geier in einen Singvogel zu verwandeln.«
    »Vielleicht hast du recht«, räumte Jordan ein. »Aber warum haben sie es getan? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Himmelsraben uns einen Gefallen tun wollten.«
    »Wenn Mendle zur selben Organisation gehört hat«, erklärte Hewe ihm, »dann ist er ganz offensichtlich mit seinem Plan gescheitert. Und vielleicht haben sie für Versager drastische Strafen.« Er grinste. »Wie auch immer, für uns ist es besser, dass der Turm verschwunden ist. Wenigstens können wir uns jetzt auf die Organisation der Stadt konzentrieren, ohne befürchten zu müssen, dass die Hälfte in die Luft fliegt oder ganz verschwindet!«
    Sie nahmen beide eine Verbindung zwischen den Himmelsraben und dem Turm an. In beiden Fällen waren furchteinflößende Kräfte demonstriert worden, die das Begriffsvermögen der beiden Männer überstieg.
    »Gemma hatte also recht mit dem Tiefen Süden?« wunderte sich Jordan.
    »Schon möglich«, meinte Hewe.
    »Hast du auch das Gefühl, jemand treibt sein Spiel mit uns?«
    »Tolles Spiel!«
    »Ich meine es ernst.«
    »Selbst wenn sie - wer immer sie sein mögen - tatsächlich so mächtig sein sollten, wie es scheint«, stellte Hewe entschieden fest, »haben wir hier immer noch mehr als genug zu tun. Der Tiefe Süden wird noch eine Weile ohne uns auskommen müssen. Wir haben bereits genug Arbeit.«
    Jordan sah seinen Freund an.
    »Gut, dass es Leute wie dich gibt«, meinte er schließlich. »Überließe man die Welt Träumern wie mir, steckten wir in einem noch größeren Schlamassel!«
    »Wärst du ausschließlich ein Träumer, hättest du längst nicht so viel erreicht«, gab Hewe zurück. »Die ganze Stadt erwartet von dir, dass du die Führung übernimmst.«
    »Bei den Göttern! Darauf bin ich nicht vorbereitet.« Jordan schüttelte den Kopf.
    »Solltest du aber«, erwiderte sein Lieutenant. »Heute Nachmittag sprichst du auf dem Platz des Collosseums zu ihnen.«
    Jordan verschlug es die Sprache.
    »Wir haben bereits dafür gesorgt, dass es sich rumspricht«, fügte Hewe hinzu. »Es dürften ziemlich viele Zuhörer kommen.« Er hielt inne. »Komm schon, Jordan, du willst doch dein Publikum nicht enttäuschen, oder?«
    Die sechs Mitglieder des Kontrolltrupps aus dem Lichtlosen Königreich saßen zusammen in einer Ecke der unterirdischen Halle, wo ihre Leute sich ausruhten. Sie waren jetzt schon lange ein Team. Zwei von ihnen waren bei früheren Kämpfen gefallen, doch die Ersatzleute für sie waren sorgsam ausgewählt worden und hatten sich fast sofort gut eingefügt. In ihrer Welt bestand die Aufgabe der Kontrolltrupps darin, die lebensfeindlichen Gebiete des südlichen Höhlensystems zu erkunden und die Verschmutzung aufzuzeichnen, die sich dort ausbreitete. Jedes Mitglied hatte im Laufe der Zeit gelernt, bei dieser gefährlichen Arbeit auf die anderen zu vertrauen und sich völlig auf sie zu verlassen, daher war es nur natürlich, dass sie jetzt eng beieinander blieben.
    Die Zusammensetzung eines Kontrolltrupps war eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit. Die notwendigen Kombination verschiedener Anforderungen brachte es mit sich, dass die Mitglieder sich oft in Temperament und Fähigkeiten stark voneinander unterschieden. Darin bildete diese Gruppe keine Ausnahme. C'tis war Heilerin und mit der Fähigkeit gesegnet, in den Körper eines anderen blicken zu können, um so kraft ihres Bewusstseins so manche Krankheit zu diagnostizieren und zu behandeln. Außerdem war sie eine Expertin in den eher konventionellen Anwendungen der Medizin. Ihre zarten Hände entsprachen ihrem ebenso zarten Gemüt. Trotzdem konnte niemand an ihrer Kraft und Entschlossenheit zweifeln. Mehrere Monate lang hatte sie Arden versorgt und sich dabei seinen ewigen Dank verdient. Und in der jüngsten Vergangenheit war sie bei der Behandlung der Verwundeten der letzten Auseinandersetzung bis an die Grenze der Erschöpfung gegangen.
    V'dal war der Führer der Gruppe. Sein phänomenales Gedächtnis und sein immer abrufbereites Erinnerungsvermögen bezüglich all der Tunnels und Höhlen in ihrer Heimat war von unschätzbarem Wert. Zwar verfügten die anderen alle über eine gewisse Grundkenntnis der entlegeneren Regionen ihres Reiches, doch wenn es darum ging, Routen festzulegen und Zeitpläne abzuschätzen, verließ man sich auf V'dal. Außerhalb der Grenzen des Lichtlosen Königreiches waren seine Fähigkeiten zwar stark eingeschränkt, doch sein reger Verstand war