Die Träumerin von Ostende
geschah, war Gabrielle voller Hass und zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
Sie trug sich mit dem Gedanken an Scheidung. Doch wenn sie sich vorstellte, wie sie vor einem Anwalt oder ihren Kindern die Trennung rechtfertigen sollte, merkte sie, dass es ihr an triftigen Gründen mangelte. Sie würden protestieren: Gab ist wunderbar, wie kannst du nur auf einen so dummen Gedanken kommen? Ihre älteste Tochter würde sie, wie schon die eigenen Kinder, womöglich zum Psychiater schicken. Sie musste die Sache anders angehen.
Gabrielle beschloss, Beweise gegen Gab zu sammeln. »Männer«, hatte die keinen Widerspruch duldende Paulette erklärt, »muss man bis zum Äußersten treiben, um rauszukriegen, wie sie ticken.« Und so wechselte Gabrielle alle fünf Minuten ihre Meinung, wollte erst in dieses Restaurant, dann in jenes, änderte zigmal das Datum oder den Aufenthaltsort für ihre Ferien, ließ ihren Launen die Zügel schießen, um ihn auf Trab zu halten und wütend zu machen. Vergeblich, immer wieder gab er ihren Forderungen nach. Es gelang ihr höchstens, ihm einen Seufzer zu entlocken oder, wie an jenem Abend, als sie so unausstehlich war, in seinen Augen eine leichte Ermüdungserscheinung wahrzunehmen. »Was hat er eigentlich in der Hose?«, hätte Paulette gesagt. Diese Frage stellte sie sich jetzt. Im Bett tauschten sie seit einiger Zeit nur noch Zärtlichkeiten aus, das war alles. Gewiss, ihr Verlangen hatte nachgelassen, früher hatten sie noch und noch miteinander geschlafen, aber nach Jahrzehnten wieder damit anzufangen, war, wie seine Ferien am immergleichen Ort zu verbringen: langweilig. Auch wenn sie sich daran gewöhnt hatte, fragte sie sich doch, ob dieser Friede für ihn nicht eine andere Bedeutung hatte. Was war mit seinen Liefer- und Einkaufsfahrten, nutzte er sie womöglich, um sie zu betrügen? Und so bestand sie darauf mitzukommen. Er war begeistert und während der vielen hundert Kilometer, die sie in diesen Wochen gemeinsam zurücklegten, ein temperamentvoller Unterhalter. Zweimal schlug er ihr vor, anzuhalten und mit ihr zu schlafen, einmal hinten im Wagen und einmal mitten auf einer Wiese. Obgleich sie einwilligte, war sie am Boden zerstört. Das war der Beweis! Der Beweis, dass er auf seinen Fahrten für gewöhnlich seine sexuellen Bedürfnisse stillte.
Sie nahm von ihren gemeinsamen Reisen Abstand, wurde trübsinnig und immer ungeselliger, außer mit Paulette. Die niemals müde wurde, sich über diese hinterfotzigen Männer auszulassen.
»Heutzutage können diese Kretins ihren Frauen nicht mehr so leicht was vormachen. Ein Blick auf die Anrufliste, und sie wissen Bescheid. Ich warte nur, dass die Privatdetektive auf die Straße gehen und gegen die Einbußen protestieren, die sie im Geschäft mit dem Ehebruch durch die Handys haben.«
»Und wenn der Mann kein Handy hat?«, fragte Gabrielle und dachte dabei an Gab, der nicht wollte, dass sie ihm eines schenkte.
»Wenn ein Mann kein Handy hat, ist Vorsicht geboten! Höchste Vorsicht! So einer ist der König der Könige, der Kaiser der Abgefeimten, der Prinz der Betrüger! So einer arbeitet auf die alte Tour, der will nicht, dass man ihm auf die Schliche kommt, er benutzt Telefonzellen, da hinterlässt er keine Spuren. Er weiß, dass der Ehebruch nicht erst mit dem Handy erfunden wurde, und greift weiter auf seine jahrelang bewährten Tricks zurück. So einer ist der James Bond der illegitimen Begattung: Du kannst ihn jagen, kriegst ihn aber nicht. Weidmannsheil!«
Von da an entwickelte Gabrielle eine Obsession hinsichtlich des Verstecks im dritten Stock. Gabs Geheimnisse mussten dort schlummern, ebenso die Beweise für seine Verderbtheit. Wie oft stand sie nicht mit dem Werkzeug in der Hand davor und wollte die Wand durchstoßen; und jedes Mal hielt die Scham sie davon ab. Sie versuchte wiederholt, Gab zu beschwatzen, ihn mit einer Charmeoffensive dazu zu bringen, ihr sein Versteck zu öffnen; jedes Mal kam er mit einer neuen Ausrede: »Da ist nichts drin«, »Du wirst dich nur lustig machen über mich«, »Du findest es noch früh genug heraus«, »Hab ich etwa kein Anrecht auf meine kleinen Geheimnisse?«, »Es hat mit dir zu tun, aber ich möchte nicht, dass du es weißt«. All diese abschlägigen, einander widersprechenden Antworten verärgerten Gabrielle über alle Maßen, bis Gab eines Tages sagte: »Wenn ich gestorben bin, wirst du’s herausfinden, das ist dann immer noch früh genug.«
Diese Äußerung empörte sie! Was,
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