Die Träumerin von Ostende
bewegen, und beschloss, zwei Paar zu kaufen.
»Was halten Sie von diesen hier?«
Stéphanie ging in dem besagten Paar kurz auf und ab.
»Nein, die gefallen meinem Mann bestimmt nicht.«
»Mag er keine Lackschuhe?«
»Er ist blind. Nein, ich meine eher, wie sie sich anhören … bei denen hier denkt man an die Schuhe von einem Kommunionkind … meine müssen sich sexy anhören.«
Erfreut brachte die Verkäuferin einige elegant geschwungene Modelle.
»Genau, die sind es«, sagte Stéphanie, verblüfft, wie perfekt Laufgeräusch und Form übereinstimmten. »Jetzt brauche ich nur noch die richtige Farbe.«
»Die Farbe ist kein Problem, die sehen ja nur Sie.«
Daran hatte Stéphanie nicht gedacht, und so entschied sie sich für ein Modell, das sie in zwei Farben kaufte, in Rot und in Schwarz. Bei den karmesinroten Pumps allerdings zögerte sie kurz. Sollte sie diese Schuhe wirklich nehmen, wann würde sie die je tragen? Aber dank Karl gönnte sie sich dieses Vergnügen, freute sich wie ein kleines Mädchen, das davon träumt, in die verführerischen Kleider seiner Mutter zu schlüpfen.
Am Donnerstag verstaute sie ihre Einkäufe in einer alten Sporttasche und begab sich ins Krankenhaus.
Um zehn Uhr zehn, als sie sicher war, dass kein Arzt mehr vorbeikommen würde, flüsterte sie Karl ins Ohr:
»Ich habe meine Schuhe mitgebracht.«
Sie ging noch einmal hinaus, stellte ihre Pantinen so hin, dass sie, falls man sie störte, schnell hineinschlüpfen konnte, und zog die schwarzen Pumps an.
»Na, dann wollen wir mal!«
Sie ging zum Bett und begann mit ihrer Arbeit. Die spitzen Absätze ihrer Schuhe klapperten energisch über den Boden, zitterten, wenn sie stehen blieb, oder glitten sanft dahin.
Karl strahlte von einem Ohr zum anderen.
»Wie wunderbar.«
Plötzlich verspürte Stéphanie Lust, das karmesinrote Paar auszuprobieren.
»Warten Sie, ich habe noch andere dabei. Sie unterscheiden sich nicht groß, aber …«
Diesmal zog sie, nur für sich, die Schuhe aus rotem Ziegenleder an und fuhr amüsiert und beschwingt mit ihrer Arbeit fort.
Unvermittelt fragte Karl:
»Ist der Riemen schmaler?«
»Nein.«
»Sieht man mehr von den Füßen? Sind sie weiter ausgeschnitten?«
»Nein.«
»Sind sie aus Schlangenleder?«
»Nein.«
»Und was für eine Farbe haben sie? Sind sie vielleicht zufällig rot?«
Stéphanie bejahte verblüfft. Bei dem Autounfall war nicht nur Karls Sehnerv beschädigt worden, er trug auch noch einen dicken Verband über den Augen. Wie also …
Fast erschrocken eilte sie zur Tür, zog die Stöckelschuhe aus, die Arbeitsschuhe wieder an und verstaute die beiden neuerworbenen Paare in ihrer Tasche.
»Danke«, flüsterte Karl, »Sie haben mich verwöhnt.«
»Wie haben Sie das erraten?«
»Ich konnte den Unterschied zwar nicht sehen, aber Sie konnte ich spüren. Sie waren ganz anders in diesen Schuhen: Sie haben sich anders bewegt, haben sich in den Hüften gewiegt. Ich wette, das ist das Paar, das Sie anziehen, wenn Sie Ralf gefallen wollen. Stimmt’s?«
»Hm …«
»Ich mag auch Ihre Stimme sehr, sie ist voll, wohlklingend und sinnlich. Seltsam, eigentlich haben eher schwarze Frauen eine so kehlige Stimme. Sie sind doch nicht schwarz, oder?«
»Nein, aber ich habe einiges gemeinsam mit meinen Kolleginnen aus Martinique.«
»Ja, auch das höre ich. Ein kräftiges breites Becken, eine göttlich glatte Haut. Oder täusche ich mich?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ihr wiegender Gang in den Pumps und, wie gesagt, Ihre Stimme. Sehr schlanke Frauen haben selten eine hübsche Stimme. Als bräuchte eine volle Stimme einen entsprechenden Resonanzkörper … und ein breites Becken, damit sie gut sitzt, harmonisch klingt … Sagt man nicht von manchen Stimmen, sie seien voluminös? Wenn Stimmen das sind, dann auch die Frauen, denen sie gehören. Einfach wunderbar!«
»Sie glauben, was Sie mir da erzählen?«
»Aber natürlich! Eine Stimme braucht Fülle und Klang. Und wenn keine Fülle da ist und kein Resonanzkörper, bleibt die Stimme trocken. Wie die Frau. Oder?«
»Als ich Ihre Geliebten neulich sah, dachte ich, Sie schwärmen nur für schlanke Frauen.«
»Das hat sich so ergeben: Ich bin Fotograf von Beruf und arbeite für meine Modeaufnahmen oft mit Models zusammen. Aber ich liebe Frauen so sehr, dass ich sie liebe, wie sie sind, ganz gleich ob schlank oder üppig.«
Da Freitag war, begann ein freies Wochenende für Stéphanie. Drei Tage ohne ihn. Wie sollte sie das
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