Die Träumerin von Ostende
schon …«
»Ja, ich weiß.«
Sie forderte ihn auf, sich auf die Bank neben den langen Ausguss zu setzen.
»Du bist schön.«
Als Stéphanie ihn hörte, wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr in der Welt der Blinden war; jemand, der sehen konnte, hatte ihr das gesagt, ein Sehender mit weit offenen Augen.
»Raphael, ich bin nicht frei.«
Das Gesicht des jungen Mannes nahm einen schmerzlichen Ausdruck an.
»Das kann nicht sein«, sagte er leise.
»Doch, ich bin nicht frei.«
»Heiratest du?«
Verblüfft, dass er sie so unumwunden fragte, entgegnete Stéphanie tonlos:
»Vielleicht. Es ist nichts geplant. Ich … Ich liebe ihn. Es … es ist wie eine Krankheit.«
Um ein Haar hätte sich Stéphanie verraten und von Karl erzählt, kam dann aber vorsichtshalber rasch wieder auf sich zu sprechen; ihr Kollege sollte nichts merken. Sie sagte:
»Da hast du’s, ich bin krank nach ihm. Ich weiß nicht, wann ich wieder gesund werde und ob überhaupt.«
Er überlegte. Suchte dann ihren Blick.
»Stéphanie, ich kann mir denken, dass ich nicht der Einzige bin, der an dir interessiert ist, ich vermute, dass es da auch noch andere gibt, wahrscheinlich ist die Welt voller Männer, die mit dir leben möchten. Trotzdem bin ich hierhergekommen, mit meinen Blumen, um dich zu fragen, ob ich nicht doch ein Chance habe, eine klitzekleine Chance.«
Stéphanie dachte an die zurückhaltenden ärztlichen Prognosen, an die Unruhe, die sie jeden Morgen überkam, wenn sie das Zimmer betrat, in dem Karl in seiner ganzen Hinfälligkeit lag … Außerstande weiterzusprechen, brach sie in Tränen aus.
Peinlich berührt rutschte Raphael auf seinem Platz hin und her, stammelte Stéphanies Namen und überlegte verzweifelt, womit er ihren Tränenfluss stoppen könnte. Unbeholfen legte er seinen Arm um ihre Schultern und forderte sie auf, sich an ihn zu lehnen. Sie schluchzte, und er lächelte, denn zum ersten Mal nahm er ihren Duft wahr und berauschte sich daran. Und Stéphanie, die an seine Brust gesunken war, bemerkte, dass er nicht wie die meisten Sanitäter nach kaltem Zigarettenrauch roch, sondern eine unglaublich weiche Haut hatte, die den verlockenden Duft von Haselnüssen verströmte. Verwirrt richtete sie sich auf. Versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen, sie dachte an die Operationen, von denen Professor Belfort gesprochen hatte, und stellte sich vor, wie sie Karl helfen würde, aufzustehen und seine ersten Schritte zu machen … Sie schüttelte den Kopf, sah ihrem seufzenden Gegenüber fest in die Augen und sagte:
»Vergiss mich.«
»Gefall ich dir nicht?«
»Du verstehst mich nicht, Raphael, du wirst mich nie verstehen!«
Als Stéphanie durch die Tür von Zimmer 221 trat, knöpfte sie ihren Kittel oben ein wenig auf und stellte fest, dass Karl immer bleicher und magerer wurde. Wie gewöhnlich ließ er sich nicht anmerken, was ihn bedrückte. Als sie ihm eine neue Urinflasche unter das Laken schob, erkannte sie seine Beine kaum wieder, so dünn waren Schenkel und Waden geworden. Wenn Professor Belfort ihn doch endlich operieren würde, es ging um sein Leben …
»Nun, Stéphanie, was ist, Sie erzählen gar nichts mehr von Ralf …«
»Es ist aus.«
»Umso besser, er war ein Idiot. Und wer ist Ihr neuer Freund?«
Am liebsten hätte Stéphanie laut gerufen: »Das sind Sie, Sie Dummkopf, ich liebe nur Sie, keiner bedeutet mir so viel wie Sie!« Aber sie wusste, dass sich das nicht mit ihrer Beziehung vereinbaren ließ, er hielt sie für unabhängig, erfüllt und glücklich. Und so antwortete sie:
»Raphael.«
»Was für ein Glück er hat, dieser Raphael! Weiß er das überhaupt?«
Stéphanie ließ noch einmal Revue passieren, was sie gerade mit Raphael erlebt hatte, und sagte:
»Ja, ich denke schon.«
Karl nahm diese Information zur Kenntnis und wusste, was er davon zu halten hatte.
»Umso besser. Ich möchte, dass Sie mir jetzt etwas versprechen, Stéphanie … wollen Sie das?«
»Ja.«
»Kommen Sie näher, ganz nah, diese Art Bitte kann ich nur flüstern und mich dabei besser an Ihrem Duft erfreuen.«
Stéphanie näherte ihr Ohr Karls feingeschwungenen Lippen und lauschte aufmerksam. Kaum war er fertig, protestierte sie:
»Nein! Ich will nicht! Sagen Sie so etwas nicht!«
Er insistierte. Sie legte ihr Ohr erneut an seine Lippen, und während ihr die Tränen über die Wangen liefen, nickte sie zustimmend.
Die Ärzte versuchten die entscheidende Operation. Stéphanie ging vor der
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