Die Trantüten von Panem
herunterfalle.
Ich bin gerade am Einschlafen, als das Wappen von Panem den Himmel erleuchtet und coole Jazzklänge aus den Lautsprechern ertönen. Natürlich! Wie konnte ich nur die allabendlichen Bekanntmachungen vergessen? Jeden Abend informiert das Kapital die Tribute darüber, wer an diesem Tag gestorben ist und was es sonst noch an wichtigen Neuigkeiten gibt.
Der Jazz wird immer kuscheliger, als plötzlich der DJ mit sonorer Stimme unterbricht. »Yo! Alles senkrecht? Hier ist euer Kumpel DJ Panini, und ihr seid die absoluten Obermacker der Hungerspiele! Dieser Song ist meinem Homie Gerd gewidmet, der gerade mit ein paar guten Freunden im Lager neben dem See chillt. Mann, Gerd, du weißt, wie man’s krachen lässt.«
Ich beiße mir vor Nervosität auf die Lippen. Ich will endlich herausfinden, wer den Löffel abgegeben hat. Wenn Pita etwas zugestoßen ist? Was, wenn ich gestorben bin, es gar nicht mitbekommen habe und inzwischen selbst ein Geist bin? Ich schlage mit dem Kopf einige Male gegen den Baum, um mich zu vergewissern, dass er noch da ist, während der Saxofonist weiterspielt.
»Der letzte Song war für mein Mädel aus Distrikt 9, die sich bereits ins Land der Träume verabschiedet hat. Aber wer kann ihr das verübeln? Auf jeden Fall sieht die Kleine so etwas von süß aus, wie sie sich in den Maulbeerstrauch direkt neben dem weithin sichtbaren dreieckigen Findling am See gekuschelt hat. Es scheint sie nicht zu stören, dass die Kompetenztribute keine zehn Meter von ihr entfernt ihr Lager aufgeschlagen haben, und dass man sie direkt vom Lager aus sehen kann, lässt sie völlig kalt. Die Kleine ist einfach megacool.«
Es folgen weitere zwanzig Sekunden irgendeines Jazzsongs, ehe das Donnern – BAWOMM BAWOMM – einer traurigen Posaune dazwischenfährt. Ein hörbar mitgenommener DJ Panini meldet sich erneut am Mikrofon. »Das war in Erinnerung an meine kleine Sarah, die äh … die ihr Leben genossen hat, so lange sie konnte. So, liebe Leute, das war’s mit dem Kuscheljazz für heute Abend.«
Dann verstummt er, und die Bilder der gefallenen Tribute werden an den Himmel projiziert. Zuerst zeigen sie einen Jungen, den ich nicht kenne. Dann kommt das Mädchen mit den Messern, gefolgt von weiteren Tributen, ehe ein kleiner Schriftzug mit den Worten In Memoriam erscheint. Dazu wird ein gefühlvolles Yo-Yo-Ma-Cellostück angespielt. Nach der Auflistung der toten Tribute erweist Panem den verstorbenen Größen aus Film und Fernsehen des vergangenen Jahres noch eine Reverenz.
Unter ihnen ist auch der unvergessene Lenny Sparwitz, der mit seinem Schlager Er hat ein knallrotes Luftkissenboot zur Legende wurde. Aus der Ferne dringt das unverkennbare Schluchzen der Theater-Distrikt-Tribute an meine Ohren.
Ich wache kurz vor Sonnenaufgang auf. Es ist noch nicht hell, aber unter mir hat das Leben bereits begonnen. Ich strecke mich auf meinem Ast und schaue mich um, sehe aber niemanden. Da höre ich etwas: KLINGELING! KLINGELING! KLINGELING! Das ist der Tribut mit der Glocke um den Hals. Ich hatte angenommen, dass ihn die Jury mit einem weiteren Tracker ausstattet, sobald sie eine neue Lieferung erhält. Aber vermutlich sind die Dinger nicht gerade billig. Der Tribut kommt aus der Deckung einiger Büsche gerannt und läuft von Panik ergriffen auf meinen Baum zu. Die gusseiserne Glocke um seinen Nacken macht ihm ganz schön zu schaffen.
Da entdecke ich die Kompetenz-Tribute hinter ihm. In der morgendlichen Dunkelheit erkenne ich lediglich Gerds Silhouette, weiß aber, dass sie mindestens zu viert oder fünft sein müssen. Mit einer flüssigen Bewegung holt Gerd etwas hervor und wirft es auf den Glocken-Tribut. Es fliegt in perfektem Bogen durch die Luft, ehe es auf dem Kopf des Gejagten landet. Ich kann meinen Blick vor Entsetzen kaum abwenden, als die Glocke auf den Boden rollt und im Mondlicht liegen bleibt. Jetzt sehe ich auch den blutigen American Football aus Stahl, mit dem Gerd seinen Widersacher niedergestreckt hat. Schließlich kommt der abgetrennte Kopf des Glocken-Tributs in Sicht. »Wahnsinn, Alter«, meint einer der Kompetenztribute zu Gerd. »Echt krank.«
BAWOMM BAWOMM. Ich kann meinen Augen kaum trauen. Gerd hat den großartigen Sport des American Football zu einem Festival der brutalen Gewalt verkommen lassen. Die anderen Kompetenztribute springen hoch und prallen mit ihrer Brust aneinander. »Alter, das war scharf«, lobt einer.
»Gerd, du bist so stark!«, flirtet Mandy, die es irgendwie
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