Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
sich erinnerte, dass sie genau das gewollt hatte. Wortlos nahm sie die letzten Stufen und blieb wartend stehen.
„Ich habe die großen Fenster gen Osten bauen lassen, um jeden Morgen den Sonnenaufgang sehen zu können.“ Sie sah die Zigarette im Dämmerlicht auf glü hen, als er einentiefen Zug nahm. „Und egal, wie häufig ich ihn schon beobachtet habe – er ist jeden Tag anders.“
Sie hatte ihn nicht als Romantiker eingeschätzt. Aber sie hatte auch nicht geahnt, dass er überhaupt ein Haus in der Abgeschiedenheit der Berge bewohnte. Was wusste sie eigentlich von diesem Mann, mit dem sie die Nacht verbracht hatte? Stumm vergrub sie die Hände in den tiefen Taschen des Bademantels und fühlte festen Karton unter ihren Fingerspitzen. Als sie weiter tastete, entdeckte sie, dass es ein Streichholzbriefchen war. „Ich nehme mir nicht die Zeit für Sonnenaufgänge“, gab sie zu.
„Wann immer ich es schaffe, morgens diesen Moment zu genießen, tue ich es. Dieser Ausblick gibt mir Kraft selbst für einen Tag voller Krisen.“
Unschlüssig spielte sie mit dem Karton, klappte den Deckel hoch und wieder zurück. „Erwartest du heute einen solchen Tag?“, fragte sie schließlich.
Er wandte sich um und sah sie an, wie sie barfuß und ein wenig blass nach der anstrengenden Nacht vor ihm stand. Selbst ohne Schuhe war sie nur wenig kleiner als er. Und doch wirkte sie umgänglicher, weiblicher als zuvor. Trotzdem konnte er ihr kaum beichten, dass er sich gerade mitten in einer Krise befand, in einem Gefühlschaos namens Aurora J. Fields. „Weißt du …“, begann er und steckte seine Hände in die Taschen seiner ausgewaschenen Jeans. „Wir hatten nicht viel Zeit zum Reden vergangene Nacht.“
„Das ist wahr.“ Unwillkürlich versteifte sie sich. „Ich hatte nicht den Eindruck, als sei einer von uns an tiefsinnigen Gesprächen interessiert gewesen.“ Und sie wollte sich auch jetzt auf gar keinen Fall über persönliche Dinge unterhalten. „Ich ziehe mich jetzt an. Du weißt, ich muss früh im Büro sein.“
„Aurora.“ Er machte keine Anstalten, auf sie zuzugehen, sondern blieb am Fenster stehen. Und doch hielt sie in der Bewegung inne. „Was hast du gespürt, als wir uns das erste Mal in der Agentur begegnet sind?“
Sie atmete tief durch, dann sah sie ihn an. „David, über diesen Teil meines Lebens haben wir schon ausführlicher gesprochen, als mir lieb ist.“
Er wusste, dass sie recht hatte. Und doch hatte er so lange darüber nachgedacht, ohne eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Sie hatte die Antworten. Und er würde nicht nachgeben, bis sie sich ihm geöffnet hatte. „Du hast nur im Zusammenhang mit anderen Menschen über deine Fähigkeiten gesprochen. Aber diese erste Begegnung geht uns beide an.“
„Ich komme zu spät ins Büro“, murmelte sie und drehte sich um.
„Es scheint eine Gewohnheit von dir zu werden, einfach davonzulaufen, Aurora.“
„Ich laufe nicht davon.“ Entrüstet wirbelte sie herum, die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt. „Es gibt nur keinen Grund, das alles wieder aufzuwärmen. Es ist meine persönliche Geschichte.“
„Aber sie betrifft auch mich“, wandte er ruhig ein. „Letzte Nacht hast du gesagt, dass du das alles schon geträumt hast. Stimmt das?“
„Es war …“ Im ersten Moment wollte sie es leugnen, doch sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen. „Ja. Die Träume lassen sich nicht so einfach kontrollieren wie bewusste Gedanken.“
„Was genau hast du geträumt?“
Das konnte sie ihm nicht sagen. Voller Anspannung krall te A. J. ihre Finger nägel in die Hand flächen. „Ich habedein Schlafzimmer vor mir gesehen. Schon bevor ich es zum ersten Mal betreten hatte, wusste ich genau, wie es eingerichtet ist.“
Er trat auf sie zu. „Du wusstest, dass wir uns verlieben würden.“
Ihr Gesichtsausdruck wurde kühl, beinahe desinteressiert. „Ja“, erwiderte sie schlicht.
„Damals warst du ärgerlich auf mich, wütend auf deine Mutter, und du hattest dich nicht unter Kontrolle. Du hast es in dem Moment gespürt, als unsere Hände sich berührt haben. Genau so, nicht wahr?“ Entschlossen nahm er ihre Hand und hielt sie fest.
In ihrem Rücken spürte sie die kühle Wand, vor ihr stand David. Sie hasste es, sich in die Enge getrieben zu fühlen. „Was willst du beweisen? Brauchst du einen neuen Test für deinen Film?“
Wie würde sie reagieren, wenn er ihr verriet, dass er längst wusste, wann sie aggressiv und beleidigend
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