Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
stimmt.“
„Aus welchem Grund?“
Obwohl es sie äußerste Überwindung kostete, hielt sie seinem Blick stand. Wenn sie jetzt zu viel offenbarte, hatte er sie in der Hand. Sobald sie zugab, dass sie ihn liebte, war er der Stärkere. Das durfte sie nicht zulassen. Sie durfte ihm nicht die Wahrheit sagen, sondern musste die Worte finden, die er verstand – und nur die Gefühle zugeben, die auch er empfand.
„Weil ich dich wollte“, sagte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen lässigen Klang zu geben. „Du hast mich gereizt, und – ob schlau oder nicht – ich habe dieser Faszination nachgegeben.“
In seinem Innern fühlte er einen stechenden Schmerz. Ihre Antwort war nicht das, was er erhofft hatte. „Genügt dir das?“
Hatte sie nicht gewusst, dass er sie verletzen konnte? Nun tat er es, mit jedem Wort, das er sagte. „Natürlich. Warum nicht?“ Scheinbar unbekümmert lächelte sie ihn an und wartete, dass der Schmerz verging.
„Ja, warum nicht“, murmelte er und versuchte, die Antwort zu akzeptieren. Nachdenklich nahm er eine Zigarette aus der Schachtel und begann vorsichtig ein neues Thema. „Du weißt, dass wir noch eine Einstellung über den Ridehour-Fall drehen?“ Obwohl er ihr in die Augen sah, konnte er beobachten, wie sich ihr Körper anspannte. „Clarissa ist einverstanden.“
„Sie hat mir davon erzählt. Wollt ihr den Film damit enden lassen?“
„So ist es geplant.“ Er spürte, wie sie sich von ihm zurückzog. Statt des kleinen Tischs, der zwischen ihnen stand, hätte auch eine tiefe Schlucht sie trennen können. „Es gefällt dir nicht.“
„Das stimmt. Aber mir ist klar geworden, dass Clarissa ihre eigenen Entscheidungen treffen muss.“
„A. J., für sie scheint es wirklich in Ordnung zu sein.“
„Du verstehst das nicht.“
„Dann erklär’s mir.“
„Bevor ich sie überzeugen konnte, aus unserem früheren Haus auszuziehen und ihren neuen Wohnort geheim zu halten, hat sie jede Woche Waschkörbe voller Briefe erhalten.“ Sie nahm ihre Brille ab und massierte die Schläfen. „Wildfremde Menschen baten sie um Hilfe. Manche wollten nur wissen, wo irgendwelche Dinge waren, die sie verlegt hat ten. An de re aber er zähl ten von ihren Sorgen, dieso ergreifend waren, dass sie meine Mutter um den Schlaf brach ten.“
„Aber sie konnte natürlich nicht allen helfen.“
„Genau das habe ich versucht, ihr deutlich zu machen. Nachdem sie nach Newport Beach gezogen war, wurde es einfacher. Bis sie jenen Anruf aus San Francisco erhielt.“
„Wegen der Ridehour-Morde.“
„Genau.“ Der pochende Schmerz in ihren Schläfen nahm zu. „Für sie war es selbstverständlich, in diesem Fall nicht auf mich zu hören. Ich konnte sagen, was ich wollte. Völlig unbeeindruckt packte sie, um loszufahren. Und als ich sah, dass ich sie nicht aufhalten konnte, habe ich sie begleitet.“ Mit größter Anstrengung schaffte sie es, ruhig zu atmen. Es gelang ihr sogar, das Zittern ihrer Hände zu verbergen. „Diese Geschichte war eine der schmerzlichsten Erfahrungen ihres Lebens. Sie sah es.“ A. J. schloss die Augen und sprach aus, was sie noch niemandem erzählt hatte. „Und ich sah es auch.“
Erschüttert legte er seine Hände über ihre. Sie waren eiskalt. Er musste ihr nicht in die Augen sehen, um zu wissen, dass er nichts als Schrecken und Verzweiflung darin lesen würde. Wie konnte er ihr zeigen, dass er sie verstand und für sie da war? „Warum hast du mir nie davon erzählt?“
Tief durchatmend öffnete sie die Augen. Sie hatte die Kontrolle wiedererlangt, doch sie war trügerisch. „Ich erinnere mich nicht gern daran. Niemals zuvor und auch danach nie wieder, habe ich etwas so deutlich, so unverkennbar klar vor mir gesehen.“
„Wir werden dort nicht drehen.“
„Was?“
„Wir lassen die Szene aus.“
„Aber warum?“
Schützend nahm er ihre Hände in seine. So gern hätte er es ihr erklärt, doch ihm fehlten die Worte. „Weil ich spüre, wie sehr es dich erschüttert. Das ist Grund genug.“
Stumm senkte sie den Blick. Seine Hände hatten ihre umfasst, so kraftvoll, so verlässlich. Niemand außer ihrer Mutter hatte jemals etwas für sie getan, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Und nun machte er ihr das Angebot, auf eine Schlüsselszene in seinem Film zu verzichten. Nur ihr zuliebe. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Dann sag nichts.“
Aus einem unerfindlichen Grund löste sich die Anspannung und wich einer weichen Wärme. „Wenn
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