Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
für die detaillierte mathematische Analyse war, die ja noch anstand.
Nachdem ich diese beiden Schritte erfolgreich angewendet hatte und spürte, wie sich meine Konzentrationsfähigkeit merklich verbesserte, ging ich eine harte Nuss an: die Schlussfolgerung. Dabei zwang ich mich, mich mit jedem einzelnen Lemma – eine mathematische oder logische Aussage, die im Beweis eines Satzes verwendet wird – gründlich auseinanderzusetzen und fehlende Schritte zu ergänzen. Anschließend fasste ich meine dabei gewonnenen Erkenntnisse in meinen eigenen Worten zusam | 200 | men – was ziemlich anstrengend war, aber die Tatsache, dass ich ja bereits stundenlang erfolgreich über etwas einfacheren Aufgaben gebrütet hatte, ließ mich weitermachen.
Zwei Wochen lang saß ich jeden Tag an dieser Beweisführung. Als ich damit fertig war, lagen gut 15 Stunden Lernen hinter mir, doch weil es so anstrengend war, kam mir das viel länger vor. Zum Glück merkte ich sofort, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Mit einem Mal verstand ich andere, ähnliche Arbeiten, die sich mir vorher nicht erschlossen hatten. Die Wissenschaftler, die diese Beweisführung angetreten waren, hatten bislang eine Art Monopol für diese Fragestellung genossen – und jetzt gehörte ich zu diesem erlauchten Kreis dazu. Derart beflügelt trat ich den mathematischen Beweis für ein weiteres Ergebnis an und hielt darüber sogar einen Vortrag auf einer Fachkonferenz. Dieses neue Fachgebiet eröffnete sich mir, da ich mein Wissen vertieft habe. Was mir aber am meisten verdeutlichte, dass sich meine Plackerei gelohnt hatte, war die Tatsache, dass ich in der Beweiskette meiner Kollegen einige kleinere Fehler aufdecken konnte. Als ich meinen Fund den Verfassern der Abhandlung mitteilte, erklärten sie mir, dass ich erst der zweite Leser wäre, der das überhaupt bemerkt hätte, und dass sie noch keine Korrektur veröffentlicht hätten. Damit Sie sich die Größenordnung dieser Unterlassung vorstellen können, ist es gut zu wissen, dass diese Abhandlung schon fast 60 Mal im Internet zitiert wurde.
Weitaus wichtiger als diese kleinen Erfolgserlebnisse war für mich meine neue innere Überzeugung, die ich mir seit dieser praktischen Übung in Sachen leistungsorientierte Lerntechnik angeeignet hatte: Sich anzustrengen ist eine tolle Sache. Wie ein Bodybuilder einen Muskelkater deutet, so deutete ich jetzt diesen inneren Widerstand, dieses Unwohlsein, das mich bei meiner Arbeit anfangs begleitet hatte, als Zeichen dafür, dass ich diese Sache richtig angegangen war. Davon inspiriert nahm ich mir selbst das Versprechen ab, noch eine weitere mathematische Beweisführung bis ins kleinste Detail zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen und mir noch drei weitere Gewohnheiten zuzulegen, auf die ich jetzt gleich eingehen werde. | 201 |
Meine Forschungsbibel
Irgendwann im Lauf meiner Suche habe ich eine Datei angelegt, der ich den hochtrabenden Titel »Forschungsbibel« gab. Dazu habe ich diese Routine für mich aufgestellt: Einmal in der Woche zwinge ich mich dazu, eine Abhandlung zu schreiben, die ich für spätere Forschungszwecke bestimmt noch brauchen werde. Sie muss das Ergebnis meiner Arbeit bis jetzt enthalten, beschreiben, wie es sich im Vergleich mit meiner bisherigen Arbeit macht, und die wesentlichen Strategien, mit deren Hilfe ich zu diesem Resultat gekommen bin. Diese Abhandlungen sind wesentlich schneller erstellt als das Sezieren einer mathematischen Beweiskette, was ich ja auch schon gemacht habe – wie Sie wissen. Aus diesem Grund kann ich mir ja auch wöchentlich eine vornehmen, was Teil meines Deliberate-practice-Programms ist.
Mein Stundenzähler
Ein weiterer Teil meiner Arbeitsroutine ist mein Stundenzähler, den ich mir im MIT an die Wand hinter meinen Schreibtisch gehängt habe und der auch nach Georgetown mit umzieht. Eigentlich ist es nur eine Tabelle, und für jeden Monat gibt es eine Spalte, in die ich die Anzahl der Stunden eintrage, die ich mit der leistungsorientierten Lernmethode zugebracht habe. Ich selbst habe mit dieser Liste am 15. März 2011 begonnen, und in den letzten beiden Wochen des aktuellen Monats 12 Stunden damit verbracht. Im April, also dem ersten ganzen Monat seit Beginn meiner Aufzeichnung, waren es 42 Stunden insgesamt. Im Mai war ich mit 26,5 Stunden nicht ganz so fleißig, im Juni waren es sogar nur 23 Stunden. Da dieser Stundenzähler in meinem Blickfeld hängt, weiß ich mit einem kurzen Blick, ob ich mir noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher