Die Traumvektor Tetralogie - I.Ursprung (German Edition)
einem leicht aufwärts geneigten ast entlang nach außen. die äste waren hier noch so dick, wie die stämme riesiger eichenbäume, man konnte bequem auf ihnen umherspazieren. isu machte es sich weit draußen zwischen einigen dünneren nebenästen bequem. ich folgte ihr langsam und etwas unsicher, ich war nicht an diese höhe gewöhnt, wir befanden uns ja immerhin etwa einhundertzwanzig meter über dem boden und fünfzig meter weit vom stamm entfernt. es war ein unglaubliches gefühl. ich setzte mich neben isu und genoss den ausblick. er war überwältigend.
sie erklärte mir, diese bäume wären über zehntausend jahre alt und würden sicher noch einmal so alt werden, wenn man sie nur ließe.
eine unfassbare kraft schien von diesem giganten auszugehen und durch meinen leib zu strömen. ich spürte die zellen in meinem körper pulsieren und sich mit neuer energie aufladen. die andeutung eines leichten prickelns stieg entlang meiner wirbelsäule nach oben, streichelte meinen hals und war verschwunden, ehe ich mir dieser flüchtigen wahrnehmung sicher sein konnte.
isu hatte die augen geschlossen und war wieder völlig abwesend. irgendetwas beschäftigte sie. einerseits war ihr körper vollkommen entspannt, doch gab es augenblicke, in denen er sich urplötzlich verkrampfte. ihre hände ballten sich zu fäusten und ihre gesichtsmuskeln vollführten eigenartige bewegungen. sekunden später strahlte sie wieder unerschütterliche ruhe aus. womit hatte sie so zu kämpfen?
ich schloss die augen. meine gedanken glitten ab und verfingen sich, wie schon zum tausendsten male in den letzten wochen, in den zügen eines sehr vertrauten gesichtes. ich kaute auf meiner unterlippe und schluckte ein paar mal. jemand schnürte mir die kehle zu und ließ sie austrocknen. meine hände klammerten sich an einen ast und hielten ihn krampfhaft fest.
»gehen wir weiter?«, riss mich eine stimme in die körperlichkeit zurück.
ich benötigte einige augenblicke, um wieder in der realität anzukommen. ich wollte eigentlich noch ein wenig hier oben verweilen, doch der blick auf die uhr einerseits, es waren zwei stunden vergangen, obwohl ich mir sicher war, ich hatte mich erst vor weniger als zwei minuten hier hingesetzt und isus fordernde frage, die keinen widerspruch zuließ, andererseits, entschieden sich gegen meinen wunsch.
genau genommen war es nicht wirklich schlimm, ich lebte ja in dieser stadt, konnte daher jederzeit wieder hierher zurückkehren. also stiegen wir nach unten und spazierten weiter.
weiter an den riesigen wohneinheiten vorbei, von denen jede einzelne eigentlich ein kleines dorf war, mit etwa tausend einwohnern und der notwendigen infrastruktur. eine kleine lebendige zelle, welche gemeinsam mit achthundertvierzehn ähnlichen zellen einen komplexen organismus bildete: tibira.
vor jeder dieser bauten war ein see angelegt worden, an dem sich fröhliche mardukianer tummelten. hunderte funkelnde blaue sterne, umgeben von weißen sandstränden, mit kleinen inseln und einsamen buchten zwischen steilen klippen. ich hatte große lust es den mardukianern nachzutun.
isu erriet auch diesmal meine gedanken und zog mich in einen der wartenden flugtaxis, die es in tibira zu tausenden gab und die jeder bewohner jederzeit gratis benutzen durfte. kurze zeit später landeten wir auf einer der »einsamen« inseln, in einem dieser seen. sie entkleidete sich, warf ihre uniform achtlos in den sand und war auch schon im kühlen nass untergetaucht. mir stockte der atem beim anblick dieser formvollendeten kurven. ich tat es ihr nach, erklomm einen felsen und sprang hinein.
2
wir lagen am strand und beobachteten kleine wölkchen, die sich hoch über dem see bildeten. ich drehte mich zu isu. sie ahnte wohl, was ich sagen wollte und blickte mich fragend an.
»auch auf die gefahr hin, dass ich die antwort dieser frage nicht überlebe, wartet irgendwo ein mann auf dich oder bist du noch zu haben?«
schweigen. sie hatte ihre augen geschlossen und versuchte sichtlich ihre beherrschung nicht zu verlieren.
warum brachten sie derartige, meiner meinung nach harmlose fragen über ihr privatleben so aus der fassung? hatte sie einen ebenso schmerzlichen verlust erlitten wie ich und beschäftigte sie das so sehr, dass die kleinste andeutung in diese richtung sie zur weißglut brachte? ich wollte mich schon für meine frage entschuldigen, als sie zögernd antwortete.
»wenn es dir hilft, es wartet niemand auf mich und ich bin noch zu haben. nur nicht
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