Die Treibjagd
so bemerkte Haffner gemessenen Tones:
»In der gegenwärtigen Epoche selbstsüchtiger Demokratie ist die Treue und Ergebenheit für den Kaiser die alleinige Tugend, der einzige Patriotismus. Wer den Kaiser liebt, liebt Frankreich. Es würde uns mit besonderer Genugthuung erfüllen, wenn Sie, mein Herr, unser Kollege werden sollten.«
»Herr von Mareuil wird den Sieg ganz zweifellos erringen,« sagte nun auch Herr Toutin-Laroche. »Die großen Vermögen sollten sich ausnahmslos um den Thron schaaren.«
Nun hielt Renée nicht länger an sich. Die Marquise, die ihr gegenüber saß, unterdrückte ein Gähnen. Und als Saccard von Neuem das Wort ergreifen wollte, wandte sie sich zu ihm und sagte mit liebenswürdigem Lächeln:
»Um Gotteswillen, mein Freund, haben Sie Erbarmen mit uns! Lassen Sie doch Ihre häßliche Politik bei Seite.«
Worauf ihr Herr Hupel de la Noue, galant wie nur ein Präfekt, beistimmte und versicherte, daß die Damen Recht hätten. Er begann eine zweideutige Geschichte zu erzählen, die sich in seiner Kreisstadt zugetragen. Die Marquise, Frau Haffner und die anderen Damen lachten laut und herzlich bei gewissen Einzelheiten. Der Präfekt erzählte in sehr pikanter Weise, mit Andeutungen, hielt hier an und betonte dort eine Stelle, was den unschuldigsten Worten einen sehr schlüpfrigen Anstrich verlieh. Darauf sprach man von dem ersten Empfange der Herzogin, von einer Posse, die gestern zur Darstellung gelangt war, über den Tod eines Dichters und die letzten Herbstrennen. Herr Toutin-Laroche, der zu gewissen Stunden auch liebenswürdig sein konnte, verglich die Frauen mit Rosen; in seiner Verwirrung, in die ihn seine Kandidaten-Aussichten gestürzt, fand Herr von Mareuil sogar einige tiefsinnige Worte über die neuen Formen der Hüte. Renée aber blieb zerstreut.
Die Gäste aßen nicht mehr. Ein heißer Wind schien über den Tisch hinweg gefahren zu sein, der die Gläser leerte, das Brod zerbröckelte, die Obstschalen auf den Tellern schwarz anhauchte und die schöne Symmetrie des Geschirrs zerstörte. Welk hingen die Blumen in den großen ziselirten Silbervasen herab. Ermattet vergaßen sich die Gäste einen Augenblick angesichts dieser Ueberreste des Nachtisches, ohne den Muth zu haben, sich zu erheben. Einen Arm auf den Tisch gestützt, halb vornüber gebeugt, hatten fast Alle den hohlen Blick, die unbestimmte Abgespanntheit jener mäßigen und verschämten Trunkenheit der Leute der besseren Gesellschaftsklasse, die sich unmerklich, allmälig berauschen. Man lachte nicht mehr und nur spärlich wurden noch Worte gewechselt. Man hatte viel gegessen und getrunken und dies ließ die dekorirten Herren noch ernster dreinschauen. In der dumpfen, schwülen Luft des Gemaches fühlten die Damen, wie sich ihnen Stirne und Nacken mit feuchtem Schweiß bedeckten. Ernst, ein wenig bleich, als schwindelte es sie, harrten sie des Augenblicks, da man sich in den Salon begeben würde. Frau von Espanet war ganz roth, während die Schultern der Frau Haffner die Farbe des Wachses angenommen hatten. Indessen betrachtete Herr Hupel de la Noue den Griff eines Messers; Herr Toutin-Laroche warf Herrn Haffner noch vereinzelte abgerissene Sätze zu, welche dieser mit einem Nicken des Kopfes entgegennahm und Herr von Mareuil träumte, wobei er Herrn Michelin ansah, der ihm leise zulächelte. Was die hübsche Frau Michelin betraf, so sprach sie schon lange nicht; Hochroth im Gesichte ließ sie eine Hand herabhängen, welche Herr von Saffré unter dem Tafeltuch in der seinigen halten mochte, denn er hatte einen Arm linkisch auf den Rand des Tisches gestützt und dabei waren seine Brauen gerunzelt, seine Stirne in tiefe Falten gelegt, als dächte er über ein schwieriges algebraisches Problem nach. Auch Frau Sidonie hatte gesiegt; die Herren Mignon und Charrier stützten sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und ihr zugewendet, schienen sie mit besonderer Genugthuung ihre vertraulichen Mittheilungen entgegenzunehmen; die würdige Dame gestand ihnen, daß sie eine Freundin der Milchwirtschaft sei und sich vor Gespenstern fürchte. Aristide Saccard selbst, der mit halb geschlossenen Augen sich dem behaglichen Gefühl eines Hausherrn hingab, der sich bewußt ist, seinen Gästen in anständiger Weise einen gelinden Rausch beigebracht zu haben, dachte nicht daran, die Tafel zu verlassen; mit achtungsvoller Zärtlichkeit beobachtete er den Baron Gouraud, der schwerfällig, der behaglichen Beschäftigung der Verdauung hingegeben,
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