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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gleichsam die Vorhalle zu einem unbekannten Tempel bildete. Nur selten sah man bei Frau Sidonie eine Klientin vorsprechen und in den meisten Fällen war sogar der Thürdrücker abgenommen. Der Nachbarschaft erzählte sie, sie gehe selbst ihre Spitzen reichen Damen zum Kaufe anbieten. Des Ferneren behauptete sie, Laden und Wohnung im Halbgeschoß, welche durch eine in der Mauer verborgene Treppe mit einander verbunden waren, nur gemiethet zu haben, um Beides besser ausnützen zu können. Thatsächlich verweilte die Spitzenhändlerin stets auswärts und man sah sie wohl zehnmal im Tage mit geschäftiger Miene heimkehren und wieder fortgehen. Im Uebrigen beschränkte sie sich nicht auf den Spitzenhandel; sie verwerthete ihr Halbgeschoß, indem sie dort die verschiedensten Dinge feilbot. Sie hatte daselbst Kautschuckgegenstände, als Mäntel, Schuhe, Galoschen veräußert; dann sah man daselbst eine neue Pommade zur Beförderung des Haarwuchses, orthopädische Apparate, eine automatische Kaffeemaschine, eine patentirte Erfindung, deren Vertrieb ihr viele Mühe verursachte. Als ihr Bruder sie aufsuchte, beschäftigte sie sich mit dem Vermiethen von Klavieren, mit welchen ihre Wohnung ganz angefüllt war; ein Piano stand sogar in ihrem Schlafzimmer, ein recht kokett eingerichtetes Gemach, welches mit der in den übrigen Räumen herrschenden Unordnung sehr auffallend kontrastirte. Sie betrieb ihre zwei Geschäfte mit vollendeter Methode. Die Klienten, die der im Halbgeschoß befindlichen Waaren halber vorsprachen, kamen und gingen durch das Thor, welches das Haus in der Rue Papillon hatte; man mußte in das Geheimniß der kleinen Treppe eingeweiht sein, um die zweifachen Geschäfte der Spitzenverkäuferin zu kennen. Im Halbgeschoß nannte sie sich Frau Touche, so wie ihr Gatte geheißen, während sie über die Thür des Ladens blos ihren Vornamen gesetzt hatte, demzufolge sie zumeist nur Frau Sidonie hieß.
    Frau Sidonie war fünfunddreißig Jahre alt; doch kleidete sie sich mit solcher Sorglosigkeit, hatte in ihrem ganzen Gebahren so wenig Frauenhaftes an sich, daß man sie für bedeutend älter gehalten hätte. In Wirklichkeit hatte sie gar kein Alter. Stets trug sie ein schwarzes Kleid, welches durch den Gebrauch weißlich und fadenscheinig geworden und an den in den Gerichtssälen abgenützten Habit eines Advokaten erinnerte. Sie trug einen schwarzen Hut, der ihr bis in die Stirne reichte und ihr Haar verbarg, plumpe Schuhe an den Füßen und so trottete sie durch die Straßen, mit einem kleinen Korb am Arme, dessen Henkel mit Bindfaden umwickelt war. Dieser Korb, den sie niemals von der Hand ließ, barg eine ganze Welt in seinem Inneren. Wenn sie denselben öffnete, kam eine Musterkarte aller möglichen Dinge zum Vorschein: Notizbücher, Brieftaschen, vor Allem aber ganze Bündel gestempelter Papiere, deren unleserliche Schrift sie mit besonderer Geläufigkeit entzifferte. Sie vereinigte Makler und Gerichtsvollzieher in ihrer Person und hatte stets Proteste und gerichtliche Vorladungen bei sich. Wenn sie für zehn Francs Pommade oder Spitzen untergebracht hatte, so erschmeichelte sie sich die Gunst ihrer Klientin und machte sich zu deren Sachwalterin, indem sie an deren Stelle mit den Advokaten, Gerichtspersonen und Gläubigern unterhandelte. So barg denn ihr kleines Körbchen Wochen lang ganze Prozesse, die sie mit sich schleppte, um deren Willen sie sich die denkbar größte Mühe gab, Paris von einem Ende zum anderen durchwanderte, stets mit ihren gleichmäßigen ruhigen Schritten, ohne sich jemals eines Wagens zu bedienen. Nur schwer hätte man zu sagen vermocht, welchen Nutzen sie aus einer derartigen Beschäftigung zog; vorerst ging sie derselben aus reiner Liebe zur Sache nach, aus Neigung für nicht ganz lautere Angelegenheiten, aus Geschmack an Chikanen. Dann aber warf ihr dieselbe eine Menge kleiner Vortheile ab: Diners, die ihr hier und dort angeboten wurden, Zwanzig-Sousstücke, die sich rechts und links erwerben ließen. Das Beste an der Sache waren aber die vertraulichen Mittheilungen, die ihr von allen Seiten gemacht wurden und die ihr zu manch' unverhofftem Vortheil verhalfen. Da sie sozusagen bei fremden Leuten lebte, stets in die Angelegenheiten Anderer eingeweiht war, so bildete sie ein lebendes Nachschlagebuch von Gesuchen und Angeboten. Sie wußte, wo es eine Tochter gäbe, die sofort verheirathet werden mußte, eine Familie, die dreitausend Francs benöthigte, einen alten Herrn, der die

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