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Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Malfi
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alte Country-Song verklang und aus der Jukebox kam etwas von Charlie Rich. Gegenüber im Raum wirkten die gerahmten Motive von Lieder der Unschuld und Erfahrung unpassend – irrationale Schreckbilder, die irgendwie in einen ansonsten banalen Traum eingedrungen waren. Meine Augen blieben auf den Replikaten von Der kleine Junge, verlorengegangen und Der kleine Junge, gefunden hängen.
    Als Adam eintraf, klebte sein Haar nass vom Regen am Kopf, und er hauchte sich in die Fäuste, um sie zu wärmen. Nachdem er am Tresen ein Bier bestellt hatte, kam er an den Tisch und nahm mir gegenüber Platz. Er trug keine Dienstkleidung – Kakihosen, ein aus der Mode gekommener American-Eagle-Sweater, hüftlangen Mantel mit Ärmelbund beziehungsweise Kragen aus Cord – und sah erschöpft nach einem langen Tag aus.
    Ich versuchte, so gelöst wie möglich zu wirken.
    Unter dem Vorwand, mich nach brüderlicher Geselligkeit zu sehnen, hatte ich Adam am Morgen angerufen und gebeten, nach der Arbeit ein paar Bier im Mockingbird mit mir zu trinken. Earls Umschlag – er klemmte unterm Tisch zwischen meinen Knien – hatte ich nicht erwähnt, geschweige denn den Inhalt. Ich sah vor, es ruhig angehen zu lassen und meinen Bruder mit Small Talk bei Laune zu halten; vielleicht ging auch der Rest meines Planes auf.
    Gerade als Jodie und ich die Krise, oder einfach, wie ich es beschönigte, die missliche Sache – meinen Zusammenbruch auf dem Treppengestell – überwunden hatten, schienen die Spannungen zwischen Adam und mir ebenfalls aufgehoben. Ob es natürlich eingerenkt oder Heuchelei war – wir verstanden uns wieder als Brüder. (Unnötig zu erwähnen, dass ich eines wusste: Meine Absichten an diesem Abend – nicht zu vergessen, was auf meinem Schoß ruhte – mochten zerstören, was wir wiederaufgebaut hatten, obwohl ich es nicht darauf anlegte. Wäre ich, was den Inhalt des Umschlags anging, unsicher gewesen, hätte ich ihn bereits zu Hause ins Feuer geschmissen und die Dentmans im Beisein meines Bruders nie wieder erwähnt.)
    »Du siehst gut aus«, meinte Adam über den Rand seines Bierglases. »Wie geht es dir?«
    Wir hatten die Erkältung beide ausgesessen – er war auch krank geworden, nachdem er mir an jenem Nachmittag auf die schwimmende Treppe gefolgt war –, und ich saß nun frisch rasiert und mit geschnittenen Haaren vor ihm.
    »Besser«, behauptete ich. »Kräftiger.« Kurz befürchtete ich, er bemerke die Unsicherheit, die unterschwellig in meinem Tonfall mitschwang.
    Fünf Minuten später – genau zur richtigen Zeit – ging die Tür der Kneipe mit einem Knall auf, und David Dentmans breitschultriger Umriss baute sich im Rahmen vor dem stürmischen, eisern blaugrauen Himmel draußen ab. Als er sich in den Raum schob, tropfte Regenwasser auf den Boden, und der dicke Cordmantel, den er trug, ließ seinen bulligen Körper noch imposanter erscheinen. Er schlug die Tür hinter sich zu, doch abgesehen von meinem Bruder und mir schenkte ihm niemand Beachtung.
    Adam sagte zuerst nichts, schaute mich nicht einmal an. Allerdings wartete ich auch gar nicht darauf, weil ich zu sehr auf Dentman fixiert war.
    Als er mich von der gegenüberliegenden Wand aus sah, kam es mir vor, als stünde ich im Kegel eines Suchscheinwerfers auf einem Gefängnishof. Sein Gesichtsausdruck war der gleiche wie an dem Tag, als er nach Hause kam und bei seiner Schwester auf mich gestoßen war; er sah aus wie ein Topf auf dem Herd, der allmählich zu köcheln anfing.
    »Travis«, sagte Adam, allerdings leise. Er schaute immer noch über seine Schulter.
    »Er wird sich mit mir prügeln wollen«, entgegnete ich rasch, bevor Dentman unseren Tisch erreichte.
    Vor dem unbesetzten Stuhl blieb er stehen. Falls er meinen Bruder erkannte und dessen war ich mir ziemlich sicher, ließ er es sich nicht anmerken. Sein finsterer Blick galt allein mir, dabei zerknüllte er einen gefalteten Zettel in der Faust.
    Den musste ich mir nicht genauer betrachten: Mir war klar, dass es sich um den Brief handelte, den ich an meinem Word-Computer ausgedruckt und danach in einen einfach weißen Geschäftsumschlag gesteckt hatte. Am Abend zuvor war ich zum Haus der Dentmans nach West Cumberland gefahren und hatte das Schreiben durch den Briefschlitz in der Tür geschoben, geklopft und mich schnell zurück in den Wagen verkrochen, um rückwärts vom Gelände zu fahren. Bis zu diesem Moment hatte ich stark bezweifelt, dass Dentman auftauchen würde. Wegen dem, was ich in diesem Brief

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