Die Treue Des Highlanders
sich doch um diesen Wahnsinnigen kümmern. Aber irgendwie erzeugte die Vorstellung, diesen Mann, der körperlich stark wie ein Bär, im Gemüt aber wie ein kleines Kind wirkte, der Staatsgewalt auszuliefern, in Anna ein unangenehmes Gefühl. Darum atmete sie tief durch und fragte: »Angenommen, ich glaube Ihnen, dass Sie, aus welchen Gründen auch immer, aus der Vergangenheit kommen und ein Zeitgenosse von Maria Stuart sind. Angenommen, Ihre fantastische Geschichte stimmt – haben Sie denn eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte?«
»Weil Ihr mich verhext habt.« Duncan musterte Anna mit finsterem Blick. »Ich erwarte von Euch eine Antwort darauf, Mistress Anna.«
»Die ich Ihnen nicht geben kann! Wie oft soll ich Ihnen noch beteuern, dass ich keine Hexe bin? Es gibt überhaupt keine Hexen, und die Zeit, in der man Frauen nachsagte, sie verfügen über magische Kräfte, und sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat, sind zum Glück lange vorbei.«
Duncan kratzte sich ausgiebig in seinem Bart. Hoffentlich hat er keine Läuse, dachte Anna, und er deutete auf seine Tasse. »Kann ich noch so ein Getränk haben?«
»Kaffee? Ja, ich könnte auch noch einen gebrauchen.«
Duncan sah schweigend zu, wie Anna Wasser erhitzte und gefriergetrockneten Kaffee in die Tassen gab, dann sagte er: »Wenn ich Euch also Glauben schenke, dass Ihr nichts mit meinem Auftauchen hier zu tun habt, dann kann es nur eine Erklärung geben.«
»Und welche?« Gespannt beugte Anna sich vor, ihre Hände krampften sich um die warme Tasse.
»Der See. Wisst Ihr nicht, dass der See, an dessen Ufer ich auf Euch stieß, seit Jahrhunderten verwunschen ist?«
Anna schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nicht lange in Schottland und habe davon nichts gehört. Aber ranken sich nicht beinahe um jeden Platz hier im Hochland fantastische Sagen und Legenden? Sie meinen also, in dem See hause ein Ungeheuer so wie Nessie im Loch Ness?«
»Nessie? Davon habe ich nie gehört, aber der Glen-Mal-Loch hat eine alte Geschichte, der ich wohl Glauben schenken muss.«
»Erzählen Sie mir von dem See«, forderte Anna ihn auf.
»Die Geschichte trug sich lange, bevor der erste Christ einen Fuß auf schottischen Boden setzte, zu. Damals gab es hier im Hochland zahlreiche Stämme, die meisten waren untereinander bis aufs Blut verfeindet. Dazu kamen immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Pikten und den Kelten. Aber in der Nähe des Glen-Mal-Lochs lebte ein Stamm, dessen Häuptling ein großer Zauberer war. Sein Name war Iain Craig Fraoch, und er entstammte einer Familie mit langer Tradition von Magiern. Solange die Welt bestand, waren die ältesten Söhne Zauberer gewesen. Fraoch verfügte über magische Kräfte, die alle Krankheiten heilen und Missernten vorbeugen konnten. Zudem wurde jeder Mann, der sich von Fraoch berühren ließ, bevor er in die Wälder zog, vom Jagdglück begünstigt. Daher musste der Stamm niemals Hunger leiden und kannte keine Not. Aber dann kamen die Nordmänner mit ihren Drachenschiffen an die Küsten von Schottland. Sie brandschatzten, mordeten und vergewaltigten. Irgendwann kamen sie auch zum Glen-Mal-Loch. Fraoch verhängte einen Bannzauber über sein Dorf, aber die Nordmänner hatten ebenfalls einen Zauberer, dessen Kräfte stärker waren als die Fraochs. Das Dorf wurde niedergebrannt, der ganze Stamm ausgelöscht. Fraoch jedoch wurde gefesselt und im See ertränkt. Seine Magie war unwirksam geworden, doch bevor er ertrank, verwünschte er alle, die jemals wieder einen Fuß in den See setzten. Jeder würde verschwinden und niemals wieder zurückkehren. Die Nordmänner, die Fraoch in den See geworfen hatten und dabei mit dem Wasser in Berührung gekommen waren, verschwanden tatsächlich. Niemand hat sie je wieder gesehen. Seitdem gelten der See und die Gegend, in der Fraochs Stamm einst lebte, als verflucht, und kein Mensch hat sich je wieder in den See gewagt.«
»Außer Ihnen, Duncan«, unterbrach Anna. Wider Willen war sie von seiner Geschichte fasziniert, auch wenn es sich wohl um reine Erfindung handelte. Seine Augen hatten beim Erzählen einen Glanz angenommen, dass Anna beinahe bereit gewesen wäre, ihm jedes einzelne Wort zu glauben.
Er zuckte mit den Schultern. »Die Geschichte von Fraoch und dem See wird bei uns von’ Generation zu Generation weitergegeben. Wir erzählten es unseren Söhnen, so wie unsere Väter uns und davor deren Väter ihnen. Als ich ein kleiner Junge war, glaubte ich an die Legende und wagte mich
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