Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
die Hand, die ich ihr hinhielt. So gingen wir zur Gartentür zurück, durch die sie gekommen war.
»Da ist Tommy«, sagte sie und deutete auf eine Stelle.
Zwischen den Blumenbeeten lag auf einem schmalen Rasenstück ein kleiner, etwa vierjähriger Knabe. Auf den ersten Blick war klar, warum er dort lag.
»Das Ding dort hat ihn geschlagen«, erzählte das Mädchen. »Es hat auf ihn losgeschlagen, und er ist hingefallen. Und auf mich hat es auch schlagen wollen, wie ich Tommy zu Hilfe kommen wollte. Das garstige Ding!«
Ich blickte auf und gewahrte jenseits des Gartenzauns eine Triffid.
»Halte dir die Ohren zu. Es wird knallen«, sagte ich.
Die Kleine gehorchte, und ich köpfte die Triffid mit einem Schuss.
»Das Ding dort hat ihn geschlagen«, wiederholte das Mädchen. Ich war im Begriff, das zu bejahen, als die verstümmelte Pflanze zu trommeln begann wie die, der ich in Steeple Honey den Garaus gemacht hatte. Und wie damals brachte ich sie mit einem zweiten Schuss zum Schweigen.
»Ja«, sagte ich. »Jetzt ist sie tot.«
Wir traten zu dem Knaben. Die scharlachrote Strieme war auf dem blassen Gesicht deutlich sichtbar. Er musste den Stich vor ein paar Stunden erhalten haben. Das Mädchen kniete an seiner Seite nieder.
»Da ist nichts mehr zu tun«, sagte ich leise.
Sie blickte auf, die Augen aufs Neue voller Tränen.
»Ist Tommy auch tot?«
Ich hockte neben ihr nieder und nickte.
»Ja, leider.«
Nach einer Weile sagte sie: »Armer Tommy! Wollen wir ihn begraben – wie die kleinen Hündchen?«
»Ja, das machen wir«, antwortete ich.
In dieser ganzen unfassbaren Katastrophe war es das einzige Grab, das ich schaufelte – und es war ein sehr kleines. Das Mädchen sammelte Blumen zu einem Strauß, den sie auf den Hügel legte. Dann fuhren wir fort.
Sie hieß Susan. Vor langer Zeit, so schien ihr, war mit Vater und Mutter etwas geschehen, sodass sie nicht sehen konnten. Der Vater war fortgegangen, um Hilfe zu holen, und nicht zurückgekommen. Später ging auch die Mutter weg, nachdem sie den Kindern eingeschärft hatte, das Haus nicht zu verlassen. Sie war weinend zurückgekehrt. Am nächsten Tag ging sie wieder weg; diesmal kam sie nicht mehr zurück. Die Kinder hatten gegessen, was sie finden konnten, dann wurden sie hungrig. Der Hunger wurde zuletzt so groß, dass Susan ungehorsam wurde und bei Mrs. Walton im Laden Hilfe suchte. Der Laden war offen, aber Mrs. Walton war nicht da. Da auf Susans Rufen niemand kam, hatte sie beschlossen, ein paar Kuchen und Süßigkeiten und etwas Backwerk zu nehmen und es Mrs. Walton später zu sagen.
Auf dem Rückweg hatte sie ein paar von den »Dingern« gesehen. Eines davon hatte auf sie losgeschlagen, aber zu hoch, sodass der Stachel über ihren Kopf hinwegschwirrte. Das erschreckte sie, und sie lief den Rest des Weges. Von nun an hatte sie sich vor den »Dingern« sehr in Acht genommen und bei weiteren Expeditionen auch Tommy zur Vorsicht ermahnt. Aber Tommy war so klein, er hatte die im Nachbargarten lauernde Triffid nicht bemerkt, als er am Morgen zum Spielen hinausgelaufen war. Susan hatte mehrmals versucht, zu ihm zu gelangen, war aber immer wieder zurückgewichen, wenn sie den Kopf der Triffid erzittern sah …
Ungefähr eine Stunde später fand ich es an der Zeit, ein Nachtquartier zu suchen. Ich ließ das Kind im Wagen zurück und besichtigte ein, zwei Bauernhäuser, ehe ich meine Wahl traf; und dann bereiteten wir uns ein Abendessen. Ich wusste nicht viel von Kindern, doch die Mengen, die sich die Kleine einverleibte, erregten mein Staunen; während des Essens gestand sie, dass eine nur aus Backwerk, Kuchen und Süßigkeiten bestehende Kost ihre Erwartungen enttäuscht hatte. Nachdem sie etwas gesäubert war und ich unter ihrer Anleitung mit der Haarbürste gearbeitet hatte, fühlte ich mich mit dem erzielten Resultat recht zufrieden. Und sie schien, wenn sie jemanden zum Plaudern hatte, für eine Zeit lang alles Geschehene zu vergessen.
Das konnte ich verstehen. Ging es mir selbst doch ähnlich.
Aber nicht lange, nachdem ich sie zu Bett gebracht hatte und wieder nach unten gegangen war, hörte ich sie schluch zen. Ich ging zurück.
»Es ist ja alles gut, Susan«, tröstete ich sie. »Es ist alles gut. Dem armen Tommy hat es gar nicht wehtun können – es ging so schnell.« Ich setzte mich an ihr Bett und fasste ihre Hand. Sie hörte zu weinen auf.
»Es war nicht nur wegen Tommy«, meinte sie. »Es war später, wie ich ganz, ganz allein war. Ich
Weitere Kostenlose Bücher