Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
verloren als bloß eine Bequemlichkeit. Es gäbe dann keine Ausfahrten mehr und folglich keine Erneuerung unserer Vorräte. Es würde Ernst mit dem primitiven Leben. Daher schickten wir aus Ersparnisgründen nur zwei- oder dreimal täglich einige Minuten Strom durch die Leitung. Die Triffids wichen dann zurück und konnten den Druck auf den Zaun nicht stetig steigern. Außerdem legten wir um die innere Umzäunung eine Alarmleitung, damit wir im Fall eines Einbruchs rechtzeitig gewarnt wurden.
Die Schwäche lag in der augenscheinlichen Fähigkeit der Triffids, aus der Erfahrung zu lernen, zumindest in einem gewissen Maß. So gewöhnten sie sich etwa daran, dass wir den Strom abends und morgens eine Zeit lang einschalteten. Um die Zeit, wo wir die Maschine gewöhnlich anlaufen ließen, entfernten sie sich von den Drähten, kamen aber wieder herbei, sobald sie stillstand. Ob sie tatsächlich die elektrische Ladung mit dem Geräusch der Maschine in Verbindung brachten, ließ sich damals noch nicht sagen, später zweifelten wir kaum mehr daran.
Es war natürlich leicht, die Einschaltungen unregelmäßig vorzunehmen, aber Susan, die nicht abließ, alle Bewegungen unserer Belagerer zu beobachten, behauptete alsbald, dass die Periode, während der der Schock wirkte, immer kürzer wurde. Dennoch schützten uns der Strom und gelegentliche Ausfälle an den Abschnitten, wo sie am dichtesten standen, über ein Jahr vor Invasionen, und vor späteren waren wir alarmiert, ehe sie ein gefährliches Ausmaß erreichten.
Innerhalb unseres Schutzgebietes widmeten wir uns dem Studium der Landwirtschaft, und unser Leben begann allmählich, in geregelten Bahnen zu verlaufen.
Im Sommer unseres sechsten Jahres fuhren Josella und ich einmal gemeinsam zur Küste hinunter, und zwar in dem Raupenfahrzeug, das ich nun auf den immer schlechter werdenden Straßen zu benützen pflegte. Es war ein Urlaubstag für Josella. Monatelang war sie nicht hinausgekommen. Das Haus und die Kinder machten ihr so viel Arbeit, dass sie nur die nötigsten Ausfahrten mitgemacht hatte, nun aber waren wir so weit, dass wir die Aufsicht manchmal Susan überlassen durften, und wir hatten ein Gefühl der Befreiung, als wir die Hügel hinauf- und entlangfuhren. An einem der tieferen Südhänge machten wir halt und blieben eine Weile sitzen.
Es war ein herrlicher Junitag, der Himmel von reinstem Blau mit ein paar Federwölkchen. Die Sonne strahlte so hell auf den Strand und auf das Meer dahinter wie in den Tagen, als derselbe Strand noch von Badenden gewimmelt hatte und das Meer gesprenkelt gewesen war von kleinen Booten. Minutenlang blickten wir schweigend hinunter. Josella sagte: »Geht es dir auch manchmal noch so, Bill, wenn du die Augen schließt und nach einer Weile wieder öffnest, dass dann alles sein müsste, wie es war? Mir geht es so.«
»Nicht mehr oft«, gestand ich. »Aber ich habe auch viel mehr gesehen als du. Immerhin manchmal …«
»Und schau, die Möwen – genau wie sie immer waren.«
»Es sind viel mehr Vögel da dieses Jahr«, stimmte ich zu.
»Ich bin froh darüber.«
Impressionistisch aus der Ferne gesehen, bot die kleine Stadt noch das alte Bild: Häuschen mit roten Dächern, Sommervillen, hauptsächlich von Pensionären und Rentnern des Mittelstands bewohnt – aber dieser Eindruck dauerte nur wenige Minuten. Die Dächer waren noch zu sehen, die Mauern kaum mehr. Die gepflegten Gärten waren unter ungehemmt wucherndem Grün verschwunden, nur hier und dort erinnerte ein Farbfleck an die sorgsam kultivierten Blumen von einst. Aus dieser Entfernung sahen sogar die Straßen wie grüne Teppichstreifen aus. Aber dieses sanfte Grün war Täuschung, aus der Nähe würde es sich als verfilztes, grobblättriges Unkraut erweisen.
»Es ist nur einige Jahre her«, sagte Josella nachdenklich, »da jammerten die Leute, dass diese Wochenendhäuschen die Landschaft verunstalteten. Und wie sehen sie jetzt aus!«
»Ja, jetzt rächt sich die Natur«, sagte ich. »Damals schien sie kaputtzugehen – wer hätte gedacht, dass die alte Dame noch so viel Lebenskraft besaß?«
»Es erschreckt mich. Es ist, als ob alles losbräche. Als ob alles sich freute, dass es aus ist mit uns und jedes seine Freiheit hat. Ich frage mich: Haben wir uns seither nicht doch nur etwas vorgemacht? Glaubst du, dass es wirklich aus ist mit uns, Bill?«
»Ich gebe dir die ehrliche Antwort: nicht ganz aus. Und wer lebt, hofft.«
Wir schauten einige Augenblicke schweigend auf das
Weitere Kostenlose Bücher