Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
den falschen Schritt getan – und nur ein paar von uns haben Glück gehabt und den Sturz überlebt.«
Ich zog an meiner Zigarette, während ich hinausschaute auf das Meer und auf den unendlichen blauen Himmel darüber.
»Da oben«, fuhr ich fort, »da oben kreisten – und kreisen vielleicht noch immer – Satelliten mit Geheimwaffen. Kreisten Drohungen, die auf ihren Tag warteten. Wie viele? Was war ihre Ladung? Du weißt es nicht; ich weiß es nicht. Geheimwaffen. Alles, was wir darüber gehört haben, sind nur Mutmaßungen – spaltbares Material, radioaktiver Staub, Bakterien, Viren … Nimm an, eine Type war konstruiert, um Strahlen auszusenden, die unsere Augen nicht ertragen konnten – etwas, das den Sehnerv tötete oder zumindest lähmte?«
Josella umklammerte meine Hand.
»O Bill, nicht! Das ist nicht möglich … Das wäre ja diabolisch. Das kann ich nicht glauben … Nein, nein, Bill!«
»Liebste, alles da oben war diabolisch … Und dann löst ein Irrtum oder ein Zufall bei einigen von den Dingern die Explosion aus – vielleicht tatsächlich die Begegnung mit den Meteoritenschwärmen …
Und dann fängt einer an, von Kometen zu reden. Wäre unklug gewesen, das sofort zu dementieren – und überdies war dazu ja auch keine Zeit mehr.
Natürlich war bei den Dingern an eine bodennahe Auslösung gedacht und an eine örtlich begrenzte Wirkung. Nun aber entladen sie sich im Weltraum oder beim Eintritt in die Atmosphäre – auf jeden Fall in solcher Höhe, dass die Gesamtbevölkerung der Erde ihrer Strahlung ausgesetzt ist …
Was wirklich geschehen ist, lässt sich jetzt nur mehr mutmaßen. Aber dass wir dieses Unheil selber über uns gebracht haben, das steht für mich fest. Und auch diese Seuche nachher: Du weißt, Typhus war es nicht …
Dass es nach all den Jahrtausenden gerade ein paar Jahre nach der Einsetzung der Satellitengeheimwaffen zu einem Zusammenstoß mit einem Kometen gekommen sein soll, an einen solchen Zufall glaube ich nicht. Glaubst du so etwas? Nein, wir haben auf dem Seil, alles in allem genommen, eine gute Weile balanciert – aber einmal mussten wir das Gleichgewicht verlieren.«
»Ja, wenn du meinst, dass es so war …«, murmelte Josella. Sie verstummte und blieb eine Zeit lang in Schweigen versunken. Dann sagte sie: »In mancher Hinsicht könnte es einem auf diese Art sogar noch grauenhafter vorkommen, als wenn es eine blinde Naturkatastrophe gewesen wäre. Und doch auch wieder nicht. Es macht die Dinge verständlich und dadurch weniger hoffnungslos. War es so, lässt es sich künftig verhindern – einer der Fehler, die unsere Ururenkel vermeiden müssen. Und, ach, wie viele Fehler sind gemacht worden! Aber wir können sie davor warnen.«
»Hm – können wir«, sagte ich. »Wenn sie einmal mit den Triffids aufgeräumt haben und aus dieser Klemme heraus sind, können sie eine ganze Menge eigener, funkelnagelneuer Fehler begehen.«
»Die armen Kleinen«, sagte sie, als sähe sie die wachsende Schar der Ururenkel bereits leibhaftig vor sich, »wir können ihnen nicht viel bieten, was?«
»Früher hat man gesagt: Wie man sich bettet, so liegt man.«
»Das, mein lieber Bill, ist, abgesehen von einem sehr engen Geltungsbereich, glatter … ich will nicht unhöflich sein. Mein Onkel Ted pflegte diese Redewendung zu gebrauchen – bis ihn eine Bombe um beide Beine brachte. Danach nie mehr. Nichts von dem, was ich getan habe, hat irgendwie dazu beigetragen, dass ich jetzt noch lebe.« Sie warf den Rest ihrer Zigarette fort. »Bill, was haben wir wirklich getan, um dieses Glück zu verdienen? Immer wieder – das heißt, wenn ich nicht überarbeitet und selbstsüchtig bin – sage ich mir, welches Glück wir hatten, und möchte irgendwie meinen Dank abstatten. Aber dann habe ich wieder das Gefühl, wenn es irgendwen oder irgendwas gäbe, bei dem man sich bedanken könnte, hätten sie eine Würdigere gewählt. Das ist alles so verwirrend.«
»Und ich habe das Gefühl«, sagte ich, »säße irgendwer oder irgendwas am Lenkrad der Weltgeschichte, wäre vieles nicht passiert. Aber darüber lasse ich mir keine grauen Haare wachsen. Wir haben eben Glück gehabt, Liebes. Verlässt’s uns nun, die Zeit, die wir gemeinsam erlebt haben, kann uns niemand nehmen. Das war mehr, als ich verdient habe, und mehr, als man in einem Menschenleben eigentlich erwarten darf.«
Wir blieben noch eine Weile sitzen und schauten hinaus auf die leere See; dann fuhren wir hinunter in die kleine Stadt.
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